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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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Tür und schloß auf.
Er hielt ihren Mantel, als sie ablegte. Dann zog er seinen eigenen aus. Er wußte nicht, wohin mit den Mänteln.
»Da!« Sie zeigte auf einen rissigen Ledersessel und verriet eine Ungeduld, die Innes glücklich machte.
Sie trug ein Kleid aus dünnem braunem Stoff mit einem Gürtel. Ihr Haar war kurz geschnitten und in Wellen gelegt. Das braune Kleid reichte bis knapp unter die Knie. Sie war schlank. Viele Frauen waren heutzutage schlank, dachte Innes. Die kräftigen, muskulösen Beine hatte er nicht mehr in Erinnerung gehabt.
»Ich habe oft an dich gedacht«, sagte er.
Sie nickte. »Ist es sehr schwierig?«
»Mit Louise? Mein Leben?«
»Mit Louise.«
»Nein«, sagte er. »Nicht sehr. Nur manchmal.«
»Du hast es für mich getan«, sagte Hazel. »Damit ich gehen konnte.«
»Meine Gründe erschienen damals kompliziert«, sagte Innes.
»Bist du verbittert?« fragte sie.
»Nein, ich bin nicht verbittert.«
Er folgte ihr in den Halbschatten eines kleinen dunklen Zimmers. Auf dem Bett lag ein Überwurf, von dem er inzwischen wußte, daß er aus Chenille war. Selbst in seiner leidenschaftlichen Erregung nahm Innes einen Frisiertisch mit Zierleiste wahr, eine Perlenkette, die an einem Nagel über dem Spiegel hing. Später würde er die kleinen Zeichen der Sparsamkeit bemerken: die sorgsam gewaschenen Seidenstrümpfe, die im Badezimmer am Handtuchhalter hingen; eine einsame Orange im Eisschrank; die in einer Schublade aufbewahrten Papiertüten.
Er konnte es kaum glauben, daß sie all die Jahre hier gelebt hatte.
»Ich unterrichte an einer Mädchenschule im Zentrum«, sagte Hazel.
»Hast du geheiratet?« fragte er.
»Nein.«
»Ich dachte, du würdest heiraten«, sagte Innes. »Ich war überzeugt davon.«
»Nein.«
»Es muß aber doch –« Innes brach ab. Er konnte nicht nach anderen Männern fragen. Nicht in diesem Zimmer, unter diesen Umständen. »Ich habe einen Sohn«, sagte er statt dessen. »Er ist ein wunderbarer Junge. Ich denke, er wird einmal Ingenieur werden. Oder Architekt vielleicht. Wir waren zweimal zusammen beim Empire State Building. Ich habe auch noch eine Tochter. Sie heißt Margaret. Sie ist recht groß für ihr Alter. Sie spielt sehr gut Klavier.«
»Wie heißt der Junge?« fragte Hazel.
»Angus«, sagte Innes und hielt inne. »Der Name meines Vaters. Du bist ihre Tante.«
»Wissen Sie von mir?«
»Ein bißchen. Daß es dich gibt. Wir haben gesagt, du wärst damals in Halifax verletzt worden«, erklärte er beschämt. »Und lebtest im Ausland.«
Hazel nickte.
»Ich habe höchstens zwanzig Minuten«, sagte Innes.
Durch den dünnen Stoff ihres Kleides zeichnete sich ihre Wirbelsäule ab. Er zog sein Hemd aus. Sie löste sorgfältig die Strapse. Er fühlte die dünnen Wülste des Chenille-Überwurfs im Rücken. Ihr Atem war süß. Er dachte nicht einen Moment an Louise, für die er ein Glück geopfert hatte, das er vielleicht jahrelang hätte haben können. Denn er hatte stets geglaubt, daß er Hazel früher oder später hätte überreden können, mit ihm fortzugehen. Wenn er nicht an jenem Nachmittag Louise im Rollstuhl gesehen hätte.
Sie lagen nackt auf dem Bett, einander zugewandt. Hazels Oberschenkel waren naß. Jetzt, da die Sonne um die Ecke des Hauses gewandert war, konnte er die feinen Linien ihrer neununddreißig Jahre erkennen. Er war seit beinahe einer Stunde weg. Hazel hatte Erfahrung in der Liebe. Wie hatte er sich auch nur einbilden können, daß es anders wäre? Er streichelte ihr Gesicht, ihr Haar.
»Was unterrichtest du?«
»Geschichte.«
»Hast du immer hier gelebt?«
»Ich war ein paar Jahre in Boston. Dann noch eine Zeitlang in Halifax. Und dann bin ich hierher gekommen.«
»Du bist nach Halifax zurückgegangen?« fragte er erstaunt.
»Kurz.«
»Ich bin nicht zurückgekehrt.«
»Ich fand es deprimierend.«
»Du hast …« Innes zögerte. »Du hast Liebhaber gehabt«, sagte er schließlich.
»Ja.«
Innes war froh, daß er sich für sie freute. Genauso froh war er aber, daß er den Männern keine Gesichter geben konnte.
»Hat einer dir mehr bedeutet?« fragte er.
»Ja.«
Wie merkwürdig, er kannte Hazel nur eine Nacht, einen Morgen und einen Nachmittag und hatte sie dennoch diese ganze lange Zeit über vermißt. Vielleicht hatte die Ähnlichkeit zwischen den Schwestern Hazel für ihn am Leben erhalten.
»Ich habe nicht die Kraft, dich zu verlassen«, sagte er.
Sie zog ihn an sich. Innes hatte das Gefühl, er müsse sich jede einzelne Sekunde ins Gedächtnis
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