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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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daß Judy schwanger war. Es dauerte nur ein paar Wochen, bis ich es merkte. Vielleicht habe ich es schon gemerkt, bevor mir klar wurde, daß er mit ihr schlief. Ich hörte sie morgens im Bad würgen. Ich sah, daß sie dicker wurde. Eines Tages habe ich sie einfach gefragt. Sie sagte, ja, sie sei schwanger. Ich fragte nicht, ob das Kind von Carl sei. Ich wußte es, aber ich wollte es nicht hören.«
    »Nora«, sagte Harrison, »das tut mir so leid.«
    »An dem Tag habe ich erkannt, daß Carl Laski ein Ungeheuer war. Jahrelang hatte er mir verboten, ein Kind zu bekommen. Er sagte immer, er habe von Kindern genug, sie hätten ihm nichts als Kummer gebracht. Außerdem, fügte er jedesmal hinzu, sei er für Kinder zu alt. Aber, verstehst du, ich war ja noch nicht zu alt. Ich sehnte mich nach einem Kind. Und nun sprach alles dafür, daß Carl nichts dagegen hatte, mit diesem – diesem Gör ein Kind zu haben.«
    Harrison hatte Mühe, das, was Nora ihm erzählte, in seiner ganzen Realität zu begreifen. Ein junges Mädchen in ihrem Haus, das von ihrem Mann geschwängert worden war. Er erinnerte sich, wie sie vor zwei Tagen von Carl Laski gesprochen hatte: Er war ein wundervoller Mensch. Ein wundervoller Dichter und ein wundervoller Mensch .
    Harrison hatte die Roscoff-Biographie gelesen und sich, auch wenn ihm das Werk nicht gefallen hatte, überzeugen lassen, daß Laski mindestens ein schwieriger und gequälter Mensch gewesen war. Aber nach den Lobreden Noras über ihren Mann, die immer ein bißchen wie Verteidigungsreden klangen, hatte er allmählich einen anderen gesehen: den wundervollen Ehemann, den guten Lehrer. Und nun erkannte er – wie jemand, der unversehens sein erstes Gefühl bestätigt sieht – den Mann endlich als das, was er wirklich gewesen war: ein egozentrischer Tyrann.
    »Ich war wütend«, sagte Nora. »Ich stellte ihn zur Rede. Er behauptete, das Kind wäre nicht von ihm. Er spielte den Überraschten. Carl konnte betrügen, aber lügen konnte er nicht. Er log so schlecht, daß es absurd war. Ich habe gedroht, ihn zu verlassen, ich glaube, ich packte sogar einen Koffer. Ich habe das nie einem Menschen erzählt.«
    »Ich bin froh, daß du das Gefühl hast, es mir erzählen zu können«, sagte Harrison, aber er wußte nicht, ob das die Wahrheit war. Seine Gefühl gestern abend waren einfach gewesen, unvermischt und zwingend.
    »Ich sagte, ich würde nur bleiben, wenn sie ginge«, fuhr Nora fort. »Ich würde nicht mit ihr unter einem Dach leben, ich hätte es satt, ihn jede Nacht mit ihr im Bett zu hören. Da wurde er wachsam. Ich glaube, er hatte sich eingebildet, ich hätte nichts gehört und wüßte nichts. Er versprach, ihr eine Bleibe zu suchen.« Sie holte kurz Atem. »Wenig später erfuhr er, daß er krank war.«
    »Der Krebs«, sagte Harrison.
    »Er hatte wochenlang fürchterliche Halsschmerzen. Ich dachte, er hätte eine Halsentzündung. Ich drängte ihn, zum Arzt zu gehen, aber er ging einfach nicht. Er hatte ein ganzes Arsenal Heilkräuter. Im Ort war früher ein Laden, wo er sie sich besorgte. Er hat darauf geschworen. Aber die Schmerzen wurden so schlimm, daß er schließlich doch ins Unikrankenhaus ging. Dort rieten sie ihm zu Tests. Das Wort machte Carl Todesangst. ›Tests‹. Er benahm sich wie ein kleines Kind. Ein mutwilliges und zerstörerisches Kind.«
    Harrison stellte sich einen tobenden alten Mann vor, eine Art König Lear.
    »Am Ende«, sagte Nora, »mußte ich dem Mädchen eine Unterkunft suchen. Ich ging ins College und sprach mit dem Dekan. Ich erzählte ihm, daß sie praktisch im Auto gelebt hatte und jetzt bei uns wohnte. Der Dekan wußte, daß Carl krank war. Carl wurde am College verehrt. Der Dekan sagte, er würde dafür sorgen, daß das Stipendium des Mädchens erhöht würde, damit sie auch Unterkunft und Essen davon bezahlen könne. Ich habe ihm nicht gesagt, daß sie schwanger war.«
    Konnte der Dekan gewußt haben, daß das Mädchen und Laski ein Verhältnis hatten, fragte sich Harrison.
    »Carl wurde entsetzlich krank«, sagte Nora. »Es war beängstigend. Er tobte. Er weinte. Er nannte jede Frau beim Namen, die ihn zu irgendeinem Gedicht inspiriert hatte. Er gestand jede schmutzige Affäre, die in seinem Kopf stattgefunden hatte. Er genoß es. Er suchte keine Vergebung. Er wollte mir weh tun, weil ich jung war und ihn überleben würde. Einige der Mädchen, sagte er, wären nicht älter als siebzehn gewesen. Besonders gern hätte er Erstsemester gehabt. Ich sei nur
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