Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine hinreißende Schwindlerin

Eine hinreißende Schwindlerin

Titel: Eine hinreißende Schwindlerin
Autoren: COURTNEY MILAN
Vom Netzwerk:
zur Seite. „Natürlich ist es möglich, genauere Angaben zu machen. In uralten Zeiten sagten Wahrsager die Zukunft voraus, indem sie die Innereien kleiner Tiere wie Vögel und Eichhörnchen studierten. Ich bin in dieser Methode unterwiesen worden.“
    Ein Schatten des Zweifels zuckte über Lord Blakelys Gesicht. „Wollen Sie etwa einen Vogel aufschlitzen?“
    Allein bei dem Gedanken stockte Jenny der Herzschlag. Sie hätte genauso wenig eine Taube umbringen wie einer ehrlichen Arbeit nachgehen können. Aber was sie jetzt brauchte, war ein überzeugendes Spektakel, um den Marquess abzulenken. „Ich muss nur das richtige Zubehör holen.“ Sie drehte sich um und verschwand hinter den dünnen schwarzen Vorhängen, die ihre eher nüchterne restliche Wohnung vor den Blicken der Kunden verbarg. Auf dem kleinen Tisch im Hinterzimmer lag noch der Stoffbeutel von ihrem morgendlichen Einkauf. Sie nahm ihn und kehrte zurück.
    Die beiden Männer beobachteten sie, als sie mit dem Leinenbeutel in der Hand wieder durch die schwarzen Vorhänge trat. Sie legte den Beutel vor Ned auf den Tisch.
    „Ned, es ist Ihre Zukunft, um die es hier geht“, erklärte sie. „Das heißt, Sie müssen das Ritual mit eigener Hand ausführen. Sie werden den Inhalt dieses Beutels … ausweiden.“
    Ned legte den Kopf in den Nacken und sah sie mit feucht schimmernden Augen flehend an.
    Lord Blakely schnappte nach Luft. „Sie haben ein kleines Tier in diesem Beutel gehalten, nur für den Fall, dass es vielleicht irgendwann benötigt wird? Was für ein Geschöpf sind Sie bloß?“
    Jenny zog hochmütig die Augenbrauen hoch. „Schließlich habe ich Sie beide erwartet.“ Als Ned immer noch zögerte, fügte sie seufzend hinzu: „Ned, habe ich Sie je fehlgeleitet?“
    Das hatte den gewünschten Effekt. Ned holte tief Luft, steckte den Arm in den Beutel und verzog angewidert den Mund. Sein Gesichtsausdruck verwandelte sich von Ekel in Verwirrung – und dann in vollkommene Verblüffung. Kopfschüttelnd zog er die Hand wieder aus dem Beutel.
    Eine ganze Weile starrten die beiden Männer auf die Anstoß erregende Kugel in Neds Hand. Sie war orange. Sie war rund. Sie war …
    „Eine Apfelsine?“ Lord Blakely rieb sich über die Stirn. „Nicht ganz das, was ich erwartet hatte.“ Er machte sich weitere Notizen.
    „Wir leben in aufgeklärten Zeiten“, murmelte Jenny. „Sie wissen, was Sie jetzt tun müssen. Los, nehmen Sie sie aus.“
    Ned drehte die Frucht in seinen Händen. „Ich wusste nicht, dass Apfelsinen Eingeweide haben.“
    Jenny gab dazu keinen Kommentar ab.
    Lord Blakely durchsuchte seine Manteltaschen und zog ein funkelndes silbernes Federmesser mit eingravierten Lorbeerblättern hervor. Natürlich. Selbst sein Federmesser war verziert, als Beweis für seine noble Abstammung. Seine Lordschaft hatte sich ohne Zweifel für dieses Muster entschieden, um zu betonen, wie hoch er über den Normalsterblichen stand. Jetzt hielt er es Ned so förmlich hin, als überreichte er ihm ein Schwert.
    Ned nahm ihm das Messer ernst ab. Er legte die Opferfrucht vor sich auf den Tisch und schnitt sie vorsichtig auf. Mit ruhiger Hand stieß er die Klinge tief in ihr Herz und zerlegte die Apfelsine dann in Stücke. Jenny genehmigte sich einen kurzen Moment des Bedauerns über den Verlust ihres Nachtischs beim Abendessen, während der Saft überall hinspritzte.
    „Genug.“ Sie streckte den Arm aus und berührte seine Hand. „Sie ist längst tot“, erklärte sie feierlich.
    Ned nickte und zog die Hand weg. Lord Blakely nahm das Messer wieder an sich und reinigte die Klinge mit einem Taschentuch.
    Jenny betrachtete den „Leichnam“. Er war orange. Er war matschig. Es würde Arbeit machen, ihn zu beseitigen. Vor allem aber, und das war das Wichtigste, verschaffte er ihr Zeit, sich irgendetwas Mystisches auszudenken, was sie sagen konnte – und das war ja auch der Hauptzweck dieser Veranstaltung gewesen. Lord Blakely verlangte präzise Angaben, aber in Jennys Beruf war Präzision ein Feind.
    „Was sehen Sie?“, fragte Ned leise.
    „Einen Elefanten“, entfuhr es ihr gereizt.
    „Einen Elefanten“, wiederholte Lord Blakely und schrieb eifrig mit. „Ich hoffe, das ist nicht Ihre einzige Prophezeiung. Es sei denn, Ned, du möchtest in die Gattung Loxodonta einheiraten.“
    Ned zuckte zusammen. „Loxo… was?“
    „Dickhäuter.“
    Jenny ignorierte das Geplänkel. „Ned, es fällt mir schwer, das Bild der Frau in meinem Kopf heraufzubeschwören, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher