Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine handvoll Dunkelheit

Eine handvoll Dunkelheit

Titel: Eine handvoll Dunkelheit
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
sind vielleicht fortgegangen.«
    »Wohin gegangen?« Trents Stimme klang heiser. »Was ist ihnen zugestoßen?«
    »Ich weiß es nicht«, gestand der Renner. »Ich weiß nicht, was ihnen zugestoßen ist. Niemand weiß es.«
     
    Er eilte weiter, hastete wie im Fieber nach Norden. Der Dschungel machte einem bitterkalten, farnähnlichen Wald Platz. Zu allen Seiten ragten große stumme Bäume auf. Die Luft war dünn und frostig.
    Er war erschöpft. Und nur noch eine Sauerstoffpatrone befand sich in seinem Tank. War sie leer, würde er seinen Helm öffnen müssen. Wie lange mochte er dann überleben? Die erste Regenwolke konnte tödliche Partikel herunterregnen und in seine Lunge dringen lassen. Oder die erste kräftige Brise vom Ozean.
    Er blieb stehen und keuchte. Er hatte den Kamm einer langgestreckten Anhöhe erreicht. Unter ihm breitete sich eine Ebene aus – eine baumbewachsene, dunkelgrüne, fast braune Fläche. Hier und da glitzerte eine weiße Stelle. Irgendwelche Ruinen. Vor Jahrhunderten hatte hier eine menschliche Stadt gestanden.
    Nichts bewegte sich – nichts deutete auf Leben hin. Nirgends auch nur die geringste Spur.
    Trent kletterte den Hang hinunter. Ringsumher der schweigende Wald. Eine bedrückende Atmosphäre lastete über allem. Selbst das vertraute Rascheln kleiner Tiere fehlte hier. Tiere, Insekten, Menschen – alle waren verschwunden. Die meisten Renner hatten sich nach Süden gewandt. Die kleineren Tiere waren vermutlich ausgestorben. Und die Menschen?
    Er erreichte die Ruinen. Einst war dies eine große Stadt gewesen. Die Menschen hatten sich wahrscheinlich in ihre Luftschutzkeller und Bergwerke und U-Bahn-Stollen zurückgezogen. Später hatten sie ihre unterirdischen Anlagen erweitert. Drei Jahrhunderte lang hatten Menschen – wahre Menschen – dem Schicksal widerstanden, unter der Erdoberfläche gelebt. Wenn sie die Oberfläche betraten, mußten sie bleigefütterte Anzüge tragen, sie mußten ihre Nahrung in den Tanks züchten, das Wasser reinigen, partikelfreie Luft mit den Kompressoren gewinnen. Ihre Augen gegen das grelle Licht der Sonne abschirmen.
    Und jetzt – nichts.
    Er hob das Funkgerät. »Bergwerk«, preßte er hervor. »Trent spricht.«
    Aus dem Lautsprecher drang mattes Knistern. Es dauerte lange Zeit, bis er eine Antwort erhielt. Die Stimme war leise, klang weit entfernt. Ging in den statischen Geräuschen fast unter. »Nun? Haben Sie sie gefunden?«
    »Sie sind fort.«
    »Aber ...«
    »Nichts. Niemand. Vollkommen verlassen.« Trent setzte sich auf einen verwitterten Betonblock. Sein Körper war wie abgestorben, jeglicher Lebenskraft beraubt. »Noch vor kurzem waren sie hier. Die Ruinen sind nicht zugewachsen. Sie müssen während der letzten Wochen fortgegangen sein.«
    »Das ergibt keinen Sinn. Mason und Douglas sind unterwegs. Douglas hat den Traktor mit. In ein paar Tagen müßte er bei Ihnen sein. Wie lange reicht Ihr Sauerstoffvorrat noch?«
    »Vierundzwanzig Stunden.«
    »Wir werden ihm sagen, daß er sich beeilen soll.«
    »Es tut mir leid, daß ich Ihnen keine bessere Nachricht übermitteln kann.« Bitterkeit sprach aus ihm. »Nach all den vielen Jahren. Sie waren die ganze Zeit hier. Und nun, da wir sie endlich gefunden haben ...«
    »Irgendwelche Hinweise? Wissen Sie, was aus ihnen geworden ist?«
    »Ich werde nachschauen.« Mühsam richtete sich Trent auf. »Wenn ich auf etwas stoße, werde ich mich bei Ihnen melden.«
    »Viel Glück.« Das statische Knistern begann die Stimme zu überlagern. »Wir werden warten.«
    Trent verstaute das Funkgerät wieder an seinem Gürtel. Er blickte hinauf in den grauen Himmel. Es war Abend – beinahe Nacht. Der Wald wirkte düster und unheilvoll. Eine dünne Schneedecke legte sich lautlos über die braunen Büsche, verbarg sie unter einer Schicht aus schmutzigweißem Schnee. Schnee, mit radioaktiven Partikeln gemischt. Tödlicher Staub – der noch immer vom Himmel fiel, selbst nach dreihundert Jahren.
    Er schaltete den Helmscheinwerfer ein. Der Strahl schnitt eine bleiche Schneise durch die vor ihm liegenden Bäume, flackerte über zerbrochene Betonsäulen, die allgegenwärtigen, rostigen Schutthaufen. Er betrat das Ruinengebiet.
    Im Zentrum stieß er auf die Türme und die Installationen. Große Säulen, umhüllt von Gitterkonstruktionen – die noch immer funkelten. Tunnelöffnungen, die in die Tiefe führten, lagen wie schwarze Seen vor ihm. Stille, verlassene Tunnel. Er äugte in einen hinunter, leuchtete mit dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher