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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte
Autoren: Hakan Nesser
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aber schon zu der Zeit hatte er das Gefühl gehabt, dass diese abgenutzte Befriedigung ihr Haltbarkeitsdatum schon lange überschritten hatte.
    Und Lars und Martin waren nicht besonders unglücklich darüber, in Dänemark zu leben, das konnte er beim besten Willen nicht behaupten. Die Frage war eher, warum er sich ab und zu – im erbärmlichsten Winkel seiner Seele – wünschte, dass sie sich nicht wohlfühlten. Würde der kalte Krieg mit Helena nie aufhören? Würde er bis in alle Ewigkeit verblasste, geistig kranke Ich-habe-es-ja-gesagt-Schilder aufstellen?
    Es ist meine Verantwortung, sie glücklich zu machen, unterstrich sie gern, nicht dich. Das habe ich früher gemacht.
    In einem anderen Winkel seiner Seele wusste er, dass sie recht hatte. Nach der Scheidung hatte Sara sich entschieden, bei ihm zu wohnen, und sie war es, die er jetzt vermisste. Nicht seine frühere Ehefrau und auch nicht seine Söhne. Wenn man ehrlich sein wollte. Sara hatte ihn fünf Jahre lang vor den Dämonen der Einsamkeit gerettet; umso schlimmer war es jetzt, wo sie ihn verlassen hatte, um sich in die weite Welt zu stürzen.
    Stattdessen war Marianne gekommen. Gunnar Barbarotti war klar, dass er dies einem glücklichen Stern zu verdanken hatte – vielleicht auch dem möglicherweise existierenden Gott, mit dem er sich hin und wieder auf ein gentlemanmäßiges Feilschen einließ.
    Hoffentlich begreift sie, welches Loch sie zu füllen hat, dachte er. Vielleicht ist es aber auch besser, wenn es ihr nicht klar wird, korrigierte er sich nach einer Weile. Nicht alle Frauen sind begeistert davon, sich um hilfsbedürftige Männer mittleren Alters zu kümmern. Zumindest nicht auf Dauer.
    Er sah ein, dass seine gute Laune leicht am Schwinden war – dass es so verdammt schwer war, die Nase über Wasser zu behalten –, und da im gleichen Moment eine rote Lampe am Armaturenbrett aufblinkte, bog er auf die passenderweise auftauchende Statoiltankstelle ab.
    Benzin und Kaffee. Alles hat seine Zeit.
    Die Gotlandfähre war nicht so voll, wie er befürchtet hatte.
Vielleicht lag das daran, dass es ein Dienstag war. Mitten in der Wo
    che. Der Ansturm von Badewütigen aus der Hauptstadt konzentrierte sich auf die Wochenenden, wie zu vermuten war. Gunnar Barbarotti fühlte eine gewisse Dankbarkeit dafür, dass er die zehn Tage mit Marianne nicht in Visby verbringen sollte. Mit Schaudern erinnerte er sich an eine Woche gegen Ende seiner früheren Ehe, ungefähr zu dieser Jahreszeit, als er und Helena eine schweineteure Wohnung innerhalb der Stadtmauern gemietet hatten. Es war ein Gefühl, als wohnten sie mitten in einem zusammengebrochenen Vergnügungspark. Grölende, kotzende und kopulierende Jugendliche in jeder Gasse, unmöglich, vor drei Uhr nachts ein Auge zuzubekommen, nein, verdammt noch mal, hatte Gunnar Barbarotti damals gedacht, wenn das hier das lebensnotwendige Tourismusgeschäft ist, dann können sie gleich das königliche Schloss in eine Bierhalle und ein Bordell umbauen. Dann brauchen sie nicht erst die Fähre zu nehmen.
    Das Gefühl der Ohnmacht war dadurch verstärkt worden, dass sie sich um drei Kinder hatten kümmern müssen und dass ihre Ehe in den letzten Zügen lag. Er erinnerte sich daran, dass sie abgemacht hatten, abwechselnd dem jeweils anderen zu erlauben, abends auszugehen und sich zu amüsieren. Helena hatte angefangen und war um vier Uhr morgens zurückgekommen, mit recht zufriedenem Gesichtsausdruck – da er ihr nicht nachstehen wollte, hatte er die folgende Nacht einsam unten am Norderstrand bis halb fünf mit einem Kasten Bier gesessen. Aber immerhin, als er an diesem Morgen durch die Ruinen und Rosenbüsche gewandert war, da hatte die Stadt schön ausgesehen, das war sogar ihm klar geworden. Verdammt schön.
    Als Marianne ihn nach seinen Gotlanderfahrungen gefragt hatte, hatte er sich damit begnügt, von einigen Besuchen in seiner Jugend zu berichten – Fårö und Katthammarsvik –, aber nicht die peinliche Visbywoche erwähnt.
    Und jetzt war also Hogrän dran. Der Name bedeutete ›große Fichte‹, wie sie erzählt hatte; es handelte sich um einen kleinen Ort mitten auf der Insel, nicht viel mehr als eine Straßenkreuzung und eine Kirche, aber hier besaßen Marianne und ihre Schwester ein Haus. Geerbt von der vorigen Generation – ein etwas wunderlicher Bruder war aus bezahlt worden, hier gab es garantiert keine Art von anstrengendem Tourismus.
    Weil es mehr als zehn Kilometer vom Meer entfernt lag, wie sie erklärt
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