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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte
Autoren: Hakan Nesser
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geschoben, den Sonnenschirm hin und her gezogen, um Schatten zu bekommen, aber ich landete immer wieder in der Sonne – besonders, wenn ich mich auf meinem Stuhl zurücklehnte –, und das war alles andere als bequem. Das ganze Dasein fühlte sich wie ein einziger Juckreiz an. Eine vibrierende Irritation, die auf eine Art unerbittlichen Punkt zutickte.
    Überhaupt war die ganze Aktion eine infame Dummheit. Vielleicht geschah sie gar nicht auf direkte Initiative eines Einzelnen hin, vielleicht war es nur eine Frage von allgemeiner, falsch geleiteter Rücksicht. Eine Gruppe von Landsleuten, die auf einem samstäglichen Markt in einem kleinen bretonischen Ort aufeinanderstoßen. Gut möglich, dass die guten Sitten in so einer Lage ein bestimmtes Verhalten erfordern. Gewisse Riten. Ich verabscheue die guten Sitten genauso sehr, wie ich Leute verabscheue, die nach ihnen leben.
    Es ist auch möglich, dass ich eine Gruppe von Ungarn an einem Restauranttisch in Stockholm oder Malmö auf andere Weise betrachtet hätte, es ist das Innenleben der Gruppe, das ich nur schwer ertrage, das äußere Bild interessiert mich nicht. Etwas zu wissen und zu durchschauen, ist oft schlimmer, als ignorant zu sein. Oder so zu tun, als wäre man ignorant. Es ist einfacher, in einem Land zu leben, in dem man die Sprache nicht voll und ganz versteht.
    Von Französisch, der Sprache, die uns momentan umgibt, wird beispielsweise behauptet, dass sie am ausdrucksvollsten ist, wenn man nicht ganz begreift, was eigentlich gesagt wird.
    Aber man sieht mir nie an, was ich denke, ich bin da auf der Hut. Ich fluche innerlich, während ich lache und schmunzle, lache und schmunzle. Ich habe gelernt, mein Leben so zu meistern. Navigare necesse est. Es kann sogar sein, dass die anderen mich sympathisch finden. Die Gedanken sind nicht gefährlich, solange sie nur Gedanken bleiben, das ist natürlich eine Weisheit, die stimmt – wie viele andere auch.
    Es handelte sich also um zwei Paare. Anfangs war ich davon ausgegangen, dass sie sich kannten, vielleicht zusammen Urlaub machten – aber dem war nicht so. Wir stießen ganz einfach alle sechs zufällig zwischen den Ständen auf dem Wochenmarkt zusammen, selbst gemachter Käse, selbst gemachte Marmeladen, selbst gemachter Muscadet, Cidre und gestrickte Tücher; vielleicht war es ja eine der beiden Frauen, auf die Erik scharf war. Sie sind beide jung und verhältnismäßig schön, vielleicht war er sogar auf beide scharf, er entwickelte tatsächlich so einigen Charme, während wir dasaßen, in unseren Schalentieren stocherten und eine Weinflasche nach der anderen leerten.
    Ich ja vielleicht auch.
    Und dann diese sonderbare Verbindung zu Kymlinge. Erik hat offensichtlich sein ganzes Leben lang in dieser Stadt gelebt, die Frau des einen Paares ist dort aufgewachsen, aber nach Göteborg gezogen, die andere Frau lebt seit ihrem zehnten Lebensjahr in Kymlinge. Keiner der drei kannte einen der anderen in irgendeiner Art und Weise, aber diese geografische Merkwürdigkeit fanden alle interessant. Unwiderstehlich. Sogar Erik.
    Was mich selbst betraf, fand ich sie äußerst ekelhaft. Als hätten sie einen Charterbus hierher genommen und könnten jetzt in der kleinen französischen Stadt sitzen und sich an den Sitten und Besonderheiten der Eingeborenen weiden und sie mit denen der Leute daheim vergleichen. In Kymlinge und anderswo. Ich trank drei Glas kalten Weißwein vor dem Hauptgericht, während eine Art äußerst vertrauter Verzweiflung von mir Besitz nahm, wie ich so dasaß und in der Sonne schwitzte. Ein Juckreiz, wie gesagt.
    Was meine eigene Beziehung zu Kymlinge betraf, zog ich es vor zu schweigen. Ich bin mir sicher, dass niemand der anderen weiß, wer ich bin, sonst könnte ich hier unmöglich weiter dabeisitzen.
    Henrik und Katarina Malmgren hieß das eine Paar. Sie ist diejenige, die in Kymlinge aufgewachsen ist, aber inzwischen wohnen sie in Mölndal. Sie sind beide in den Dreißigern, sie arbeitet im Sahlgrenschen Krankenhaus, er ist irgendeine Art von Akademiker. Sie sind offenbar verheiratet, haben aber keine Kinder. Sie sieht ansonsten aus wie eine Frau, die schwanger werden kann und will, wenn es also irgendwelche medizinischen Probleme gibt, sind sie sicher bei ihm zu suchen. Trokken und angespannt, rötliche Haut, vermutlich bekommt er schnell Sonnenbrand, vielleicht fühlte er sich beim Mittagessen genauso unwohl wie ich, zumindest hatte ich fast den Eindruck. Wahrscheinlich sitzt er lieber vor einem
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