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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin
Autoren: Anonyma
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denken, wie damals in meinem alten Bau eine große Dogge einging, die schließlich im Hausgarten begraben wurde. Aber welch Theater vorher, Hausbesitzer, Portier, andere Mieter – alle wehrten sich dagegen. Und nun ein Mensch, und keiner findet was dabei, ja, ich glaube sogar, den Eltern ist diese Nähe ein Trost. Und ich ertappe mich darüber, wie ich unwillkürlich schon unseren kleinen Gartenfleck zwischen den Häusern mit Gräbern besetze.
    Um 16 Uhr in der Dachwohnung. Ich habe etwas Tolles erlebt. Soeben hab ich einen Trostbesuch bei Frau Golz gemacht und probierte dabei zum Spaß am Telefon herum. Zu meiner Verblüffung war Geräusch drin, was es seit Tagen nicht mehr gegeben hat. Ich drehte die Nummer von Gisela – und bekam sie, die wohl eine Stunde weit von hier in Berlin W. wohnt. Gieriger Wortwechsel, wir fanden kein Ende. Giselas Firma hat sich in Wohlgefallen aufgelöst. Der Chef ist in Richtung Westen davongebraust, er hat nach zündenden Abschiedsworten das kleine Volk sich selbst überlassen. Wir sind alle vergessen, horchen angestrengt ins Leere, sind allein.
    Gisela erzählte mir am Telefon, daß sie derzeit fast auf den Tag so alt sei wie ihr Vater, als er im ersten Weltkrieg bei Verdun fiel. Sie hat ihren Vater nie gesehen. In diesen Tagen nun, so sagt sie, muß sie viel an ihn denken, sie unterhält sich im Geiste mit ihm, so, als komme nun die Reihe an sie, als werde sie ihm bald begegnen. Niemals haben wir uns früher über derartiges ausgesprochen, wir hätten uns geschämt, unser Herz so bloßzulegen. Jetzt drängt das Tiefste nach oben. Leb wohl, Gisela, wir haben beide so um die dreißig Jahre gelebt, vielleicht sehen wir uns doch gesund wieder.
    Zurück in die Kellerhöhle, Montag, 20 Uhr. Heute gegen Abend die ersten Artillerie-Einschläge an unserer Ecke. Fauchen, Zischen, Uiiij-Geheul. Feuer blitzte auf. Erschrockene Rufe im Hof. Ich, treppab gestolpert, hörte drunten, daß die Einschläge vorm Kino lagen. Der Feind schießt sich auf uns ein. Im übrigen geht die Sage, daß die Russen bloß kleine Dinger schmeißen. Langsam kommen uns Zweifel am letzten, so sehr gefürchteten amerikanischen Teppich – der müßte jetzt in Berlin schon Russen mit treffen.
    Eine neue Parole geistert durch unseren Keller. Die Likörfabrikanten-Gattin weiß es aus ganz sicherer, ganz geheimer Quelle und kündet es mit hochwogendem Busen: Ami und Tommy hätten sich mit dem Iwan verzankt und gedächten sich nun mit uns zu verbünden, um ihn wieder aus dem Lande zu jagen. Hohngelächter und Dispute. Die Likörfabrikantin ist schwer gekränkt und verfällt vor Ärger in ihr angestammtes Sächsisch. Sie ist erst gestern aus ihrer (ziemlich kleinen) Likörfabrik hinter dem Moritzplatz, wo sie bisher mit ihrem Mann übernachtete, in die Wohnung und in unseren Keller zurückgekehrt, um hier die Stellung zu halten. Ihr Mann ist bei den Flaschen und Destillierkolben zurückgeblieben – und bei einer rothaarigen Elvira, wie jedermann im Keller weiß.
    Im übrigen geht die Anschaffe weiter. Kurz vor Ladenschluß erstand ich noch 150 Gramm Griesmehl. An der Ecke plötzlich Geschrei und aufgeregtes Gerenne: Bei Bolle wurde ein Lastwagen entladen, fässerweise trug man Butter ins Haus, ranzige Ware, die verteilt werden soll. Ein Pfund pro Nase, und zwar, das ist das Beängstigende, gratis! Man erhält dafür bloß einen Stempel auf die Karte. Ist es das erste Panikzeichen? Oder Vernunft jenseits der Akten? Im Nu entstand ein Knäuel vor der Ladentür, man schlug sich mit Regenschirmen und Fäusten. Ich drängelte ein paar Minuten mit, schnappte dabei was auf von Reserven, Verstärkungen und deutschen Panzern im Anmarsch von irgendwoher – eine Frau will vergangene Nacht über Detektorgerät etwas Derartiges gehört haben. Ich ließ dann die Butter Butter sein, mag mich nicht drum schlagen. Heute wenigstens noch nicht. Vielleicht muß ich's bald lernen.
    Stille Nacht. Fernes Geballer. Das Kellervolk ist ganz kaputt heute. Man hört keinen Laut mehr, kein Wort. Nur Geschnarch und die fiependen Atemzüge der Kinder.
    Dienstag, 24. April 1945, mittags
    Keine Nachricht. Wir sind abgeschnitten. Etwas Gas, dafür Wasserleitung trocken. Vom Fenster aus sehe ich unten Menschenhaufen vor den Geschäften. Immer noch Geprügel wegen der ranzigen Gratisbutter. Heute gibt es allerdings nur noch ein Viertelpfund pro Karte. Ich zähle vier Schupos, die das Gewühl eben jetzt bändigen. Dazu Regen.
    Zur Zeit sitze ich im ersten
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