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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin
Autoren: Anonyma
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Uniformen. Übrigens kümmerte sich keiner der Männer um uns Zivilisten, alle schauten zur Leinwand, lachten fleißig. Ich fraß den Film. Er strotzt vor lebensstarken Typen: breiten Mädchen, gesunden Männern. Ein Tonfilm, er lief in russischer Sprache, ich verstand, da er unter einfachen Menschen spielte, ziemlich viel. Zum Schluß zeigte er als Happy End ein Siegesfeuerwerk über den Türmen von Moskau. Dabei soll er bereits 1944 gedreht worden sein. Das haben unsere Herren doch nicht riskiert, trotz aller vorweg genommenen Siegesfanfaren.
    Wieder bedrückt mich unser deutsches Unglück. Bin tieftraurig aus dem Kino gekommen und helfe mir, indem ich alles herbeirufe, was meinem Lebenstrieb das Feuer nimmt. Das Stückchen Shakespeare damals, aus meinem Pariser Notizbuch, als ich Oswald Spengler entdeckt und über seinen Untergang des Abendlandes betrübt war: »A tale told by an idiot, full of sound and fury, and signifying nothing.« Zwei verlorene Weltkriege sitzen uns verdammt tief im Gebein.
    Donnerstag, 14. Juni 1945
    Wieder war die Gehmaschine in Charlottenburg. Wäre es nur soweit, daß unser Betrieb stünde und ich die Arbeiterkarte II bekäme, mit 500 Gramm Brot am Tag, damit ich mir ein bißchen davon für den Abend retten kann. So muß ich die sechs Roggenbrötchen, die ich mir allmorgendlich hole, immer gleich für mein Frühstück opfern. Das heißt, zwei nehme ich noch mit auf den Weg, esse sie an den beiden Rastpunkten, die ich mir gönne, würde sonst wohl schlappmachen. Trotz »Bratens« in Kaffee-Ersatz sind die faulig schmeckenden Kartoffeln schwer herunterzubringen. Ich müßte wieder welche aussortieren, das Häuflein schmilzt bedrohlich.
    Im Korridor bei dem Ingenieur standen heute Dutzende von Telefon-Apparaten. In allen Häusern werden sie jetzt eingesammelt; wie es heißt, für die Russen. Berlin ohne Strippe! Es scheint, daß wir wieder zu Höhlenmenschen werden sollen.
    Abends etwas Schönes: Endlich bekam ich in unserem Eckladen die für zwei Dekaden, 20 Tage, fällige Fettration von 20 mal 7 gleich 140 Gramm Sonnenblumenöl. Andächtig trug ich das Fläschchen, das ich die ganze Woche vergeblich leer mitgeführt hatte, nach Hause. Nun duftet es in meiner Küche wie in einer Moskauer »Stolowaja«, dem Speiserestaurant einfacher Leute.
    Freitag, 15. Juni 1945
    Hab mir in aller Frühe meine sechs Tagesbrötchen geholt. Sie sind feucht und dunkel, früher gab es sowas nicht. Ein Brot zu kaufen, wage ich nicht mehr, würde mich vorzeitig am Quantum des nächsten Tages vergreifen.
    Heute stieg der Einbruch in den Keller meines ehemaligen Brotgebers. Der Ungar, der Ingenieur und ich mogelten uns hintenherum durch die Waschküche in das Haus. Wir hatten die Kiste, die unberührt im Verschlag stand, schon aufgestemmt, als sich oben an der Kellertreppe die Frau unseres ehemaligen Prokuristen zeigte, der hier noch immer haust. Ich stotterte was von Akten und Papieren, die ich noch hier liegen hätte. Die beiden Männer machten sich hinter der Kiste ganz klein. Wir zerbrachen dann die Bilderrahmen, rissen die Bilder – Fotos mit Unterschrift von jungen Ritterkreuzträgern – heraus und stapelten die Verglasungen. Packpapier und Strippe hatten wir mitgebracht. Unbemerkt konnten wir durch den Hintereingang entwischen. Mir macht es nichts aus, wenn die Leute auf den Schaden kommen. Schließlich hab ich Kamera und Zubehör, die ich auf Wunsch des Chefs im Betrieb aufbewahrte, bei dessen Totalverbombung eingebüßt. Was sind dagegen die paar Scheiben? Wir stoben mit unserem Raub davon, so schnell wir konnten. Jeder schleppte sich mit einem schweren Scheibenstapel bis zu mir, wo die beiden Männer unsere kostbaren Firmenfahrräder untergestellt hatten. Vier Scheiben bekam ich als Provision ab, könnte ein Fenster meiner Dachwohnung damit verglasen, wenn ich Kitt hätte.
    Ich las am Abend in der ziemlich willkürlich zusammengestoppelten Bücherei des Wohnungsinhabers herum. Fand Tolstois Polikei und las es zum xten Male. Ackerte mich durch einen Band Dramen von Aischylos und entdeckte dabei die Perserklage. Mit ihren Wehschreien der Besiegten paßte sie gut zu unserer Niederlage – und paßt doch gar nicht. Unser deutsches Unglück hat einen Beigeschmack von Ekel, Krankheit und Wahnsinn, ist mit nichts Historischem vergleichbar. Soeben kam durchs Radio wieder eine KZ-Reportage. Das Gräßlichste bei all dem ist die Ordnung und Sparsamkeit: Millionen Menschen als Dünger, Matratzenfüllung,
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