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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin
Autoren: Anonyma
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den Vertröstungen, die er dort eingeheimst hat. Einzig der Ungar strotzt vor Optimismus. Ein schlauer Hund ist er bestimmt. Als ich gesprächsweise erwähnte, daß im Keller meines früheren Arbeitgebers noch eine Kiste voll gerahmter Photos von Ritterkreuzträgern stehe, die als Preise bei irgendeinem Preisausschreiben gedacht waren, jedoch nicht mehr versandt werden konnten, da fragte er, sogleich hellwach: »Bilder? Mit Glas?«
    »Ja, richtig gerahmt und verglast.«
    »Das Glas holen wir uns«, ordnete er an. Er hat bereits Geschäftsräume irgendwo an der Hand, natürlich ohne Fensterscheiben, wie die meisten Räume in Berlin. Na, von mir aus mag er den Einbruch wagen. Ich will gern Schmiere stehen. Aber ich seh's noch nicht. Vermutlich ist das ganze Zeug längst weg.
    Auf dem Heimweg besuchte ich Gisela. Wieder lag die blonde Hertha krank auf dem Sofa, diesmal jedoch nicht mit glührotem, sondern mit schneeweißem Gesicht. Sie hat, wie Gisela sagt, eine Fehlgeburt gehabt. Ich fragte nicht weiter. Gab nur jedem der drei Mädchen einen von den Bonbons, die unser Ungar mir »als Dank für den feinen Glastip« mit auf den Heimweg gegeben hatte. Gefüllte Mokkabohnen, sehr gut. Es war hübsch anzusehen, wie die verkrampften, verbitterten Gesichter der Mädchen sich lösten, als sie die süße Füllung der Bonbons schmeckten.
    Hab mit Gisela über unsere Verlagspläne gesprochen. Sobald eine von unseren Planungen Gestalt annimmt, könnte Gisela dabei mittun. Sie blickte skeptisch drein. Sie kann sich nicht vorstellen, daß wir in unserem Lande nach unserem Sinn Druckschriften gestalten dürfen. Sie meinte, nur Blätter im Moskauer Sinn würden erlaubt sein, der nicht der ihre ist. Noch hat sie zuviel Scham, um vor mir das Wort »Gott« in den Mund zu nehmen; doch alles, was sie sagte, zielte dahin. Ich bin überzeugt, daß sie betet und Kraft daraus gewinnt. Zu essen hat sie nicht mehr als ich. Ihre Augen sind tief umschattet. Aber diese Augen leuchten, während meine nur blank sind. Man kann einander jetzt nicht helfen. Doch das bloße Vorhandensein anderer Hungernder um mich herum hält mich aufrecht.
    Montag, 11. Juni 1945
    Wieder ein Tag für mich. Ich war auf der Polizei und versuchte, irgendeine amtliche Erlaubnis zur Ausbeutung des verlassenen Gartens zu erhalten, der hinter dem ausgebrannten Haus von Professor K. liegt, einem guten Bekannten aus vergangener Zeit. Ich legte einen Brief des alten Herrn vor, den dieser mir noch im März aus seinem märkischen Zufluchtsort geschickt hat und worin er mich bat, nach seinem Garten zu schauen. Man schickte mich von Pontius zu Pilatus. Niemand war zuständig. Überall Mief und kleines Gezänk in den mit Pappe verschalten dunklen Bürobuden. Nichts hat sich geändert.
    Unterwegs zupfte ich mein Brennesselquantum. Ich war sehr matt, das Fett fehlt. Immer wogende Schleier vor den Augen und ein Gefühl des Schwebens und Leichterwerdens. Schon dies Aufschreiben jetzt ist eine Anstrengung, ist mir aber ein Trost in meiner Einsamkeit, eine Art Gespräch, ein Herzausschütten. Die Witwe hat mir von wilden Russenträumen erzählt, die sie jetzt noch träumt. Bei mir nichts dergleichen, wohl, weil ich alles aufs Papier gespien habe.
    Schlimm steht es um die Kartoffeln. Man hat uns die Rationen bereits bis Ende Juli ausgehändigt, zwangsweise, wir mußten sie abholen. Warum, das riecht jeder: Die Knollen, jetzt erst aus den Mieten gebuddelt, gären und bestehen zur Hälfte aus stinkendem Matsch. Der Geruch in der Küche ist kaum auszuhalten; doch auf dem Balkon, so fürchte ich, faulen sie noch schneller. Wovon sollen wir im Juli leben? Dazu macht mir der Gasherd Kummer. Reicht der Gasdruck mal aus, so knallt es im Rohr wie von Schüssen. Und die elektrische Kochplatte, zusammengeflickt wie sie ist, will nicht mehr.
    Das Brot muß ich vor mir selber bewachen. Bin schon um 100 Gramm auf die morgige Ration voraus, darf solche Vorgriffe nicht einreißen lassen.
    Dienstag, 12. Juni 1945
    Wieder war die Gehmaschine in Charlottenburg. Mit flotten S-Bahnfahrten ist es nichts mehr. Gleich nach den ersten Versuchen ging etwas kaputt: die Bahn streikt wieder. Wir haben fleißig geschafft. Unsere Entwürfe und Vorschläge sollen nun bei allen möglichen zuständigen Ämtern eingereicht werden.
    Eine neue Erfahrung wurde mir unterwegs zuteil. Aus einem Rasenplatz wurden Leichen ausgehoben zwecks Umbettung auf einen Friedhof. Eine Leiche lag bereits auf dem Schutt. Ein lehmiges, längliches
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