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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas
Autoren: Horst Biernath
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Vernehmung aufs Polizeipräsidium mitnehmen.«
    »Und was soll ich derweil tun?«
    »Hierbleiben und warten, bis du von mir oder von dem Kriminalbeamten angerufen wirst.«
    »Das kann stundenlang dauern...«
    »Da kann ich dir leider nicht helfen. Aber du kannst dir von einem meiner Mädchen Kaffee holen lassen, falls du eine Stärkung brauchst.«
    Ein Gespräch kam durch. Der Gasthof hatte Telefon und Dyrenhoff ließ Severin an den Apparat holen.
    »Wir haben Glück, er ist im Hause«, sagte er zu Werner, und die Muschel freigebend, rief er in den Apparat: »Herr Severin, hier spricht Dyrenhoff...Ja, Dyrenhoff, wir hatten schon einmal das zweifelhafte Vergnügen... Ihre Adresse hat mir mein Schwager Werner Gisevius gegeben... Es handelt sich um eine sehr ernste Sache. Ihre ehemalige Frau liegt nach einem Selbstmordversuch mit Veronal wahrscheinlich hoffnungslos im Krankenhaus... Ja, heute nacht, sie wurde am Vormittag eingeliefert... Aber jetzt brauche ich Sie! Würden Sie mich, bitte, erwarten. Ich hole Sie nach zehn Minuten von Ihrem Hotel ab... Hotel wäre übertrieben? Na schön, dann eben Gasthof... Danke sehr, Ende!«
    Noch eine Durchsage an das Sekretariat, ihm ein Taxi vors Haus zu bestellen. Es konnte in einer Minute da sein, da der Halteplatz in unmittelbarer Nähe lag.
    »Eine tolle Geschichte...!« murmelte er kopfschüttelnd und zerstampfte die sechste Zigarre in der Aschenschale, »eine verrückte Geschichte! Die verrückteste, die ich je erlebt habe... Severin... Anita Eyssing... Ein armes Luder... denn das ist sie doch letzten Endes... Und dann: mens sana in corpore sano ... Stand über der Turnhalle meiner alten Penne... Und an solchen Sprüchen wurde die brave Sextanerseele aufgehängt! Nee...!«
    Er wirbelte hinaus, den grauen Hut im Genick, die Aktentasche mit den beiden Messingschlössern unter dem Arm, den Dunst von sechs Zigarren hinterlassend. Werner ging ans Fenster und riß beide Flügel auf. Der Rauch zog in dichten Schwaden ab. Unten glitt ein Strom von Autos vorbei, die Sonne schleuderte Lichtspeere auf Glas, Lack und Chrom, und Chrom, Lack und Glas schleuderten die blitzenden Lanzen zurück. Drüben auf dem anderen Gehsteig stand ein Karrenhändler, der einen Berg von Orangen feilbot. Und irgendwo in einem Krankenbett, hinter grünen Stoffwänden, die Nonnen in schwarzen Gewändern und weißen Schutenhauben um die Betten Sterbender stellen, entließ der Tod zu dieser Stunde eine Frau aus dem dunklen Labyrinth ihrer Träume.

    Sie saßen zu dritt auf der Terrasse, Dyrenhoff, Gerda und Werner. Christine hatte ihre Abreise mit Birgit um zwei Tage verschoben. Der Tod Anita Eyssings hatte Gerda schwer getroffen, aber fast noch mehr entsetzte sie der Gedanke, Severins Schicksal hätte sich an Werner wiederholen können. Auch Werner war bedrückt. Wenn er sich auch hundertmal sagte, daß ihn an diesem Ende keine Schuld träfe, so blieb doch das unbehagliche Gefühl zurück, sein letztes Gespräch mit ihr sei auch der letzte Anlaß zu ihrem verzweifelten Schritt gewesen. Mochte Dyrenhoff, härter und kühler, auch immerhin behaupten, dieser Tod sei nicht etwa deshalb erfolgt, weil sie keinen Ausweg aus ihrem Lügennetz mehr gesehen habe, sondern sie habe ihn gewählt, um Severin mit einem letzten Ausbruch ihres eisigen Hasses vernichtend zu treffen. Denn sie war gestorben, ohne eine einzige Zeile zu hinterlassen.
    »Versteht ihr? Der Haß ging mit ihr durch, als sie Werner höhnisch und triumphierend gestand, den Unfall verursacht zu haben, für den sie Severin ins Gefängnis schickte. Später mag sie sich überlegt haben, daß sein Zeugnis für sie doch gefährliche Folgen haben könnte. Und so räumte sie den einzigen Beweis für Severins Schuldlosigkeit aus dem Wege — sich selbst. Ein diabolisches Spiel bis zum Ende.«
    »Und Severin...?«
    »Ich will versuchen, ihn herauszupauken. Ich werde es mit allen Mitteln versuchen, aber es wird schwer sein, einen Freispruch aus erwiesener Unschuld zu erreichen. Welches Gericht wird es abnehmen, daß Anita Eyssing Selbstmord verübte, weil sie Severin schuldlos ins Gefängnis gebracht hat? Man wird mir entgegenhalten, sie habe keinen anderen Ausweg als den Tod gesehen, um aus ihrem Lügengebäude herauszukommen...«
    »Und meine Aussage?«
    »Man wird dich vereidigen, natürlich... Aber ein Eid ist ein Seil, auf das sich ein Richter nur sehr zögernd begibt. Es geht um die Aufhebung eines Urteils, bei dem zehn Zeugen beschworen haben — mit Recht
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