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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit
Autoren: Georg Sander
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und schließlich ganz aufgegeben hatten. All das hatte sich auch auf den Morgenkurier ausgewirkt. Die einzige verbliebene Tageszeitung Waldenthals wurde durch den dramatischen Einwohnerschwund und die Umwälzungen in der Zeitungslandschaft, doppelt gebeutelt. Nur mit rigiden Sparprogrammen hatte die Verlagsleitung bislang verhindern können, dass das Blatt nach fast einhundertfünfzig Jahren dicht machen musste. Als hilfreich hatte sich schließlich erwiesen, dass ein Konkurrenzblatt des Kurier , das vor allem in den umliegenden Gemeinden eine hohe Auflage hatte, vor zwei Jahren aufgeben musste. Notgedrungen waren vor allem viele ältere Leser des eingegangenen Blattes auf den Morgenkurier umgestiegen.
    Viele der Probleme, mit denen die Stadt jetzt kämpfte, hatten sich schon abgezeichnet, als Velten beim Kurier eingestellt worden war. Er war sich damals sicher gewesen, dass Waldenthal für ihn nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zu spannenderen und vor allem lukrativeren Jobs sein würde. Doch irgendwann hatte er einfach den Absprung verpasst. Er hatte geheiratet, eine Wohnung gekauft, ein paar Kilo zugenommen und eines Tages verwundert festgestellt, dass er sich in Waldenthal zuhause fühlte. Jetzt fand er es irgendwie beruhigend, dass es den meisten der vielen ehrgeizigen Volontäre und jungen Kollegen, die seitdem unter seiner Anleitung ihr Handwerk gelernt hatten, nicht besser ergangen war als ihm. Die wenigsten hatten ihre ambitionierten Pläne wahr machen können. Einige waren beim Morgenkurier geblieben oder bei einer anderen kleinen Zeitung untergekommen. Mehrere verdingten sich mehr schlecht als recht als freischaffende PR-Texter oder angestellte Lohnschreiber. Und von den allermeisten hatte er schlicht und ergreifend nie wieder etwas gehört.             
    Nach zehn Minuten näherten sie sich Waldenthals neuem Shoppingparadies am Rand der Stadt. Vor drei Jahren waren hier, mitten auf der grünen Wiese, fast zeitgleich ein gigantischer Supermarkt, ein Baucenter, die Filiale einer Möbelkette und ein großes Elektrofachgeschäft entstanden. Während der Planungsphase hatten sich die alteingesessenen Waldenthaler Einzelhändler mit Händen und Füßen gegen die unliebsame Konkurrenz gewehrt und Visionen von leerstehenden Ladenlokalen in der City und einer menschenleeren Fußgängerzone heraufbeschworen. Tatsächlich hatten viele traditionelle Geschäfte in den letzten Jahren schließen müssen. Velten war sich aber sicher, dass die neuen, modernen Märkte das Siechtum dieser Läden nicht verursacht, sondern bestenfalls beschleunigt hatten.
    Die Zeppelinstraße führte mitten über einen weitläufigen Parkplatz, in dessen Mitte sie zu einem Kreisverkehr wurde, von dem sternförmig Abfahrten zu den verschiedenen Märkten abzweigten. Während Velten seinen Wagen durch das Rondell zirkelte, hielt er Ausschau nach Streifenwagen oder anderen Anzeichen für den möglichen Leichenfundort. Schnell entdeckte er im Süden des Geländes, unweit des Eingangs zum Lebensmittelmarkt, mehrere Polizeifahrzeuge. Er verließ den Kreisel und steuerte seinen Mercedes so nah wie möglich an die mit weiß-rotem Flatterband abgesperrte Fläche heran.
    Ein schlaksiger Polizist trat an den Wagen. Velten war ihm, wie vielen seiner Kollegen, bereits an etlichen Tatorten begegnet und kannte ihn daher flüchtig. Er kurbelte die Seitenscheibe herunter. Der Uniformierte tippte sich an die Mütze. „Morgen, Herr Velten, der Morgenkurier hört wohl mal wieder das Gras wachsen.“
    Er schüttelte dem Beamten die Hand. „Guten Morgen, wir sind eben von der schnellen Truppe, immer unterwegs im Auftrag unserer Leser.“
    „Ist klar“, griente der Uniformierte. „Frau Staller hat hier das Kommando. Ich nehme an, ich muss Sie nicht mit ihr bekannt machen.“
    „Witzbold“, antwortete Velten und öffnete die Tür.
    Mit Marcks im Schlepptau trat er an das Trassierband, vor dem sich bereits einige Schaulustige versammelt hatten, und betrachtete die Szenerie. Drei Beamte in Uniform und Susanne Staller, Kriminalhauptkommissarin der Waldenthaler Polizei, sahen gerade zu, wie zwei Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens einen Zinksarg in ihren Wagen schoben. Ein paar Meter weiter krochen drei Ermittler der Spurensicherung in weißen Ganzkörper-Overalls auf dem Asphalt herum. Zwischen ihnen waren mit hellem Klebeband die Umrisse eines Menschen auf dem Boden markiert. Eine große, inzwischen eingetrocknete Blutlache zeugte davon,
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