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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit
Autoren: Georg Sander
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dass der Mensch, der dort bis vor kurzem gelegen hatte, wohl keines natürlichen Todes gestorben war.
    Als die Bestatter die Heckklappe schlossen und in ihr Fahrzeug stiegen, drehte sich Susanne um und entdeckte die beiden Journalisten. Sie verzog das Gesicht. „Ihr Presseleute seid wie die Geier. Kaum liegt irgendwo ein Toter herum, kommt ihr auch schon angeflogen.“ Sie trat zu den beiden an die Absperrung. „Hallo, Max.“
    „Schön dich zu sehen, Susanne.“ Sie sahen sich in die Augen, ein wenig länger vielleicht, als es zwei Menschen getan hätten, die sich nur oberflächlich kennen. Sie hatte ihr blondes Haar wieder etwas länger wachsen lassen und trug es zu einem Pferdeschwanz gebunden. Wie an jenem Tag vor mehr als zehn Jahren, als er ihr an irgendeinem Tatort zum ersten Mal begegnet war. Und wie damals war sie lässig mit Jeans und einer leichten Sommerbluse bekleidet. Velten deutete auf seine Kollegin: „Das ist Katja Marcks. Marcks mit cks. Sie ist neu beim Morgenkurier .”
    Die beiden Frauen gaben sich die Hand.
    „Sind Sie zum ersten Mal in Waldenthal?“, fragte die Polizistin neugierig.
    „Das kann man wohl sagen“, antwortete Marcks. „Heute ist mein erster Arbeitstag. Ich habe noch nicht einmal meine Koffer ausgepackt.“
    „Es ist sicher nicht leicht, den Job an einem Montagmorgen mit Max Velten zu beginnen. Bitte schließen Sie nicht von ihm auf unsere Stadt. Er ist ein zugereister Saarländer, die meisten Waldenthaler sind wesentlich sympathischer und umgänglicher als er.“
    „Geht schon in Ordnung“, antwortete Marcks bevor der perplexe Velten etwas erwidern konnte. „Ich bin in einer Künstlerfamilie aufgewachsen und den Umgang mit komplizierten Charakteren gewöhnt.“
    „Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Leiche. Die meisten Ihrer Kollegen mussten darauf monatelang warten. Waldenthal gehört zu den sichersten Städte in Rheinland-Pfalz mit einer der höchsten Aufklärungsquoten im Land.“
    „Kannst du uns schon etwas über den Toten sagen?“, unterbrach Velten die Lobeshymne auf die örtliche Polizei.
    „Natürlich. Männlich, achtzig bis neunzig Jahre alt, vermutlich an akuter Fischvergiftung gestorben. Das Restaurant in dem Lebensmittelmarkt hat nicht den besten Ruf, was die Hygiene angeht. Wir tippen auf ein verseuchtes Fischbrötchen.“
    Velten grinste: „OK, wir bringen das morgen so. Dürfen wir die Waldenthaler Polizei als Quelle nennen?“
    Sie lachte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er spürte wieder dieses vertraute Kribbeln in der Brust. „Besser nicht. Der Tote war Mitte oder Ende vierzig. Sieht so aus, als wäre er letzte Nacht mit mehreren Stichen in Bauch und Brust getötet worden. Nach der Obduktion wissen wir mehr.“
    „’Letzte Nacht’ ist ein dehnbarer Begriff.“
    „Ausgehend von der Umgebungs- und der Körpertemperatur und dem Zustand der Leiche vermutet der Rechtsmediziner, dass der Mann zwischen dreiundzwanzig und ein Uhr getötet wurde. Er blieb dann die ganze Nacht unentdeckt. Wie du ja siehst, lag die Leiche hinter einem Müllcontainer. Von der Straße war der Tatort nicht zu sehen. Der Tote wurde erst heute Morgen von einem Angestellten des Supermarktes gefunden.“
    „Hatte er irgendwelche Papiere dabei, aus denen seine Identität hervorgeht?“, wollte Marcks wissen.
    „Wir haben nichts gefunden, aber er kommt mir bekannt vor. Auch die Streifenpolizisten, die als erste am Tatort waren, glauben ihn zu kennen, kommen aber nicht auf den Namen. Wahrscheinlich ist der Tote irgendein ‚Kunde’, mit dem wir in den letzten Jahren zu tun hatten. Wenn das so ist, haben wir sicher seine Fingerabdrücke im System und können ihn schnell identifizieren.“
    Einer der Beamten der Spurensicherung rief nach der Kommissarin. „Tut mir leid, ich muss mich wieder an die Arbeit machen. Frau Marcks, hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.“
    Die beiden Journalisten stiegen wieder in den Wagen. Als sie langsam vom Parkplatz fuhren, drehte Marcks sich zu Velten um: „Ich wusste nicht, dass diese Stadt so friedlich ist.“
    „Die einen nennen es friedlich, die anderen todsterbenslangweilig. Alles eine Frage des Standpunkts. Die Formulierung ‚in Waldenthal passiert nie etwas’ passt auf beides. Für uns Journalisten ist ein Mord in den Sommerferien jedenfalls ein Gottesgeschenk.“
    Sie schüttelte den Kopf: „Sie sind ein Zyniker. Man könnte die nachrichtenarme Zeit schließlich auch mit Reportagen und Hintergrundgeschichten
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