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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit
Autoren: Georg Sander
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beeindruckt, sie hatte nur wenige Minuten für den Text gebraucht. Er wechselte ins Redaktionsprogramm und las sich ihren Artikel durch:
     

Unbekanntes Mordopfer auf Parkplatz gefunden
    Am frühen Dienstagmorgen wurde auf dem Parkplatz bei den Einkaufszentren an der Zeppelinstraße die Leiche eines noch unbekannten Mannes gefunden. Die Polizei, die das Alter des Toten auf etwa vierzig Jahre schätzt, geht von einem Gewaltverbrechen aus. Der Mann ist offenbar gegen Mitternacht mit mehreren Messerstichen getötet worden.
    Kriminalhauptkommissarin Susanne Staller, die die Ermittlungen leitet, kündigte an, nach der Obduktion weitere Informationen bekannt zu geben. Mehr über den mysteriösen Leichenfund erfahren Sie in Kürze im Morgenkurier.
     
    Über die Meldung hatte Marcks ein Foto der Leichenbestatter gesetzt, die gerade den Sarg in ihren Wagen verfrachteten. Sie musste es mit ihrem Handy geschossen haben. Er hatte es nicht bemerkt. Velten befand, dass der Schnappschuss für das Internet gut genug war.
    „Das ist sehr gut, Sie können das so ‚posten’.“
    Sie ließ den Zeigefinger schwungvoll auf die ‚Return’-Taste knallen: „Mein erster Artikel für den Waldenthaler Morgenkurier .“
    „Nur für die Homepage des Morgenkuriers “, korrigierte er sie.
    Marcks holte Luft, um zu protestieren, verkniff es sich aber. „Vierzehn Uhr, ich verschwinde in die Landkreisredaktion.“
    Zehn Minuten später klopfte es und Renate Knab öffnete die Tür: „Frau Jost von TGHZ Consulting ist da. Kann sie reinkommen?“
    Velten seufzte: „Hilft es etwas, wenn ich ‚nein’ sage?“
    „Das habe ich gehört“, konterte die Beraterin lachend und betrat sein Büro. Velten, der bislang wenig Lust auf das Gespräch gehabt hatte, änderte seine Meinung auf der Stelle. Die Frau im hellen Kostüm, die sein Büro betrat, war etwa Mitte dreißig, fast so groß wie er und auffallend schlank. Schulterlanges, brünettes Haar umspielte ihr schmales Gesicht. Velten entschied sich dafür, dem Wunsch seines Chefredakteurs zu folgen und sehr kooperativ zu sein.
    „Ich bin Nina Jost, Strategieberaterin von TGHZ. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Ihr Händedruck war fest und ihre braunen Augen musterten ihn neugierig. Er bot ihr den Schreibtischstuhl von Marcks an.
    Sie lehnte den angebotenen Kaffee freundlich ab und klappte ihre Aktentasche auf. „Ich möchte Sie nicht länger als nötig aufhalten. Wollen wir gleich zur Sache kommen?“
    „Nein.“
    Nina Jost runzelte die Stirn und sah ihn halb irritiert und halb belustigt an. „OK, Sie haben die Regie. Worüber wollen Sie sprechen?“
    Sie gibt zu schnell nach, dachte Velten und war auf der Hut. „Sie sind der dritte Consultant von TGHZ, der mir auf diesem Stuhl gegenübersitzt. Ihre beiden Vorgänger haben den Waldenthaler Morgenkurier analysiert wie eine Schürsenkelfabrik oder eine Autowerkstatt. Von den Besonderheiten einer Tageszeitung hatten die Typen keinen blassen Schimmer. Sie rieten der Verlagsleitung, dass der Kurier produktiver werden müsse. Und am Ende saßen viele Kollegen und Freunde auf der Straße. Seitdem glauben viele hier im Haus, dass ein Berater ein Feind ist.“
    Sie ließ seinen Affront einige Sekunden lang auf sich wirken. Dann beugte sie sich leicht zu ihm hin und sah im fest in die Augen: „Wir Berater sind so wenig Ihr Feind, wie ein Arzt, der Ihnen einen kranken Arm amputiert, um Ihnen das Leben zu retten. Und wissen Sie, was?“
    „Was?“
    „Sie sind der ichweißnicht wie vielte Zeitungsredakteur, der mir gegenübersitzt. Die meisten waren so von sich begeistert, als hätten sie einen Impfstoff gegen Krebs entdeckt, und so larmoyant, als würde man ihnen dafür den Nobelpreis verweigern. Und soll ich Ihnen sagen, was das Problem mit Ihren Journalistenkollegen ist?“
    „Ich bitte darum.“
    „Es ist ihr Job, jeden Tag irgendjemanden öffentlich zu kritisieren und so zu tun, als wüssten sie für jedes Problem eine Lösung. Deshalb kommen sie überhaupt nicht mehr auf die Idee, ihr eigenes Handeln in Frage zu stellen. Und an dieser Stelle kommen wir Berater ins Spiel. Wir sagen den Redakteuren und der Verlagsleitung das, worauf sie auch selbst kommen könnten, wenn sie nur gelegentlich einen Blick in den Spiegel werfen würden.“
    Velten verschlug es für einen Moment die Sprache, was nicht oft passierte. Doch dann musste er unwillkürlich grinsen. Nina Jost hatte seinen Berufsstand messerscharf charakterisiert. „Sie sind gut, Frau
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