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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit
Autoren: Georg Sander
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Wandel bewältigen oder von den ständigen Veränderungen, die das Internet mit sich brachte, vom Markt gefegt werden würde.
    „Das hier könnte vielleicht etwas für dich und Frau Marcks sein“, riss ihn Renate Knab aus seinen Gedanken. „Auf dem Parkplatz bei den neuen Einkaufszentren in der Zeppelinstraße liegt ein Toter. Einer unserer Leser, der dort als Hausmeister arbeitet, hat die Leiche gefunden und uns den Tipp gegeben. Er vermutet, dass der Mann ermordet wurde. Die Polizei ist mit großem Bahnhof vor Ort. Am besten fährst du gleich hin, das wird deine Laune heben.“
    Velten drückte ihr einen Kuss auf die Stirn: „Du bist ein Schatz.“
    „Schon immer gewesen.“
    Keine fünf Minuten später trat er mit Marcks auf den Parkplatz im Hof des Pressehauses. Die Luft war noch angenehm frisch, aber es würde sicher bald wieder heiß werden. Der Sommer, der in diesem Jahr eine einzige verregnete Enttäuschung gewesen war, schien wild entschlossen, den bisherigen Mangel an Sonnentagen im August wieder wettzumachen. Velten sehnte den Herbst herbei.
    „Wir nehmen meinen Wagen, den schwarzen Mercedes dort.“
    „Der gehört ihnen? Ist ja irre! Der ist doch sicher fast so alt wie Sie selbst.“ Marcks betrachtete den Wagen von allen Seiten und fuhr mit den Händen über die Chromleisten und den Stern auf der Motorhaube. Immerhin wusste sie ein schönes Auto zu schätzen. Sie war nicht nur niedlich und nervtötend, sondern hatte auch Geschmack.
    „Baujahr sechsundfünfzig“, brummte Velten, als er die Tür öffnete. „Eine gute Ecke älter als ich.“ Er hatte den Mercedes der Baureihe W121 vor einigen Jahren günstig gekauft. Der Wagen war von seinen Vorbesitzern schlecht behandelt worden und hatte sich in einem bemitleidenswerten Zustand befunden. Velten hatte fast ein Jahr gebraucht, um ihn wieder auf Vordermann zu bringen. Wo seine handwerklichen Fähigkeiten an ihre Grenzen gestoßen waren, hatten Fachbetriebe die restlichen Arbeiten und schließlich auch die Lackierung übernommen, was eine hübsche Stange Geld gekostet hatte. Nun befand sich der Benz beinahe wieder in dem Zustand, in dem er in den Wirtschaftswunderjahren in Stuttgart aus dem Werk gerollt und von seinem Erstbesitzer freudestrah lend in Empfang genommen worden war. Velten war mächtig stolz auf seinen Klassiker. Hin und wieder ließ er seinen Golf in der Garage stehen und fuhr mit dem Mercedes ins Büro, um das alte Schätzchen in Bewegung zu halten.
    Auf dem Weg zu den Einkaufszentren löcherte Marcks ihn mit Fragen zu seinem Wagen. Nein, der Lack sei nicht mehr im Originalzustand. Ja, der Benz ließ sich mit handelsüblichem Benzin betanken. Doch, man könne damit bequem auch längere Strecken zurücklegen.
    „Und was verbraucht er so?“
    „Kommt drauf an, wie weit man damit fährt“, knurrte Velten.
    Sie lachte: „Verstehe, ich quatsche mal wieder zuviel. Das mache ich immer, wenn ich nervös bin. Heute ist schließlich mein erster Arbeitstag in Waldenthal.“
    Augenblicklich bereute er, dass er ihr gegenüber so kurz angebunden gewesen war: „Schon in Ordnung. Erzählen Sie mal, was hat Sie zu uns in die Pfalz verschlagen?“
    „Der Morgenkurier hat einen guten Namen und man kann viel über die Arbeit an der Basis lernen“, antwortete sie eifrig. „Ich fand, dass das eine gute erste Station nach meinem Studium ist. In ein paar Jahren möchte ich aber in die Innenpolitik wechseln. Wer will schon jahrzehntelang in einer Lokalredaktion versauern?“
    „So wie ich zum Beispiel?“
    „Ups, sorry, war nicht persönlich gemeint. Wenn man sich für Lokales interessiert, ist das natürlich etwas anderes.“
    Velten verdrehte die Augen. Er bekam eine erste Ahnung davon, was Klaus Dörner an Katja Marcks „nervtötend“ fand. Doch eigentlich war ihm ihre Einstellung nicht fremd. Als er in ihrem Alter gewesen war, hätte er es auch nicht für möglich gehalten, dass er als Mittvierziger noch immer in dieser Stadt arbeiten würde. Waldenthal hatte in den letzten Jahrzehnten ein Drittel seiner Einwohner verloren. Die Menschen in der Region hatten über Generationen hinweg vor allem in den zahlreichen Schuhfabriken und deren Zulieferbetrieben gearbeitet. Als die Branche kollabiert war, hatten viele der jüngeren Waldenthaler ihrer Heimat den Rücken gekehrt, um anderswo einen Job zu finden. Den zweiten Aderlass erlebte die Stadt nach dem Ende des kalten Krieges, als die US-amerikanischen Streitkräfte ihre Garnison stetig verkleinert
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