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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit
Autoren: Alex Capus
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von seinen Schwarzen anfertigen ließ.
    «Die Zahnbürsten sind hygienisch ganz einwandfrei, nur ein wenig zu stark – wie so vieles in Afrika, Sie werden sehen. Das Mangomus der katholischen Schwestern in Tabora beispielsweise schmeckt genauso wie deutsches Pflaumenmus – nur ein wenig stärker. Auch das Malzbier, das unser Brauer Schulze gleich hier hinter dem Palmenhain nach deutschem Reinheitsgebot herstellt, schmeckt ganz wie echtes deutsches Bier – nur ein wenig stärker. Falls es Ihnen zu stark ist, versuchen Sie doch das Honigbier, das fast jeder Wirt im Land auf eigene Faust in seiner Küche braut. Den wilden Honig, den sie dafür brauchen, gibt es in Hülle und Fülle überall im Busch. Nur in der Nähe von Gummiplantagen schmeckt der Honig bitter und ist fürs Bierbrauen nicht geeignet.»
    So redete die Gouverneurin in einem fort. Anton Rüter war bezaubert von der Leichtigkeit ihres Plaudertons und von ihrer anhaltend mühelosen, beherrschten Munterkeit, die ihm typisch britisch schien. Als Norddeutscher war er nur selten zu Munterkeit fähig, und wenn sie ihn einmal überkam, verlor er immer gleich die Beherrschung; dann lachte er zu laut, machte unkontrollierte Bewegungen und geriet vor Begeisterung ins Stottern, was ihm hinterher stets peinlich war.
    Auch der junge Wendt studierte die Gouverneurin mit wissenschaftlicher Neugier, während sie lachend zum Besten gab, dass manche Bierbrauer die Rettungsgürtel von den Schiffen stahlen, um daraus Korken für ihre Flaschen zu stanzen. Ihr Gang war entspannt und aufrecht, ihre Gestik fraulich gemäßigt, ihr Mienenspiel von perfekter Symmetrie. Sie konnte belustigt die Augen rollen und machte doch nie den Clown; sie konnte besorgt die Stirn in Falten legen, ohne ihr Gegenüber ernsthaft in Sorge zu versetzen; und ihr Lächeln war nicht anders als bezaubernd zu nennen. Hermann Wendt fragte sich, ob in diesem Gesicht jemals ein unkontrolliertes Muskelzucken möglich sei, und was man tun müsste, damit diese Frau unbeherrschte Laute von sich gab.
    Auch Rudolf Teilmann hörte der Gouverneur aufmerksam zu und merkte sich alles, was sie sagte. Allerdings wunderte er sich, dass die Frau mit so großer Ausdauer über Mangomus, Honigbier und Zahnbürsten sprechen konnte, aber kein Wort über ihre Kinder verlor. Seiner Erfahrung nach war es gewöhnlich nur eine Frage der Zeit, bis eine verheiratete Frau die Rede auf ihre Kinder brachte. Wenn die Gouverneurin das nicht tat, so bedeutete es wohl, dass sie keine Kinder hatte. Tellmann fragte sich, was der Grund ihrer Kinderlosigkeit sein mochte, und musterte das Ehepaar, das traulich Arm in Arm ging, unauffällig. Vielleicht war einfach die Biologie schuld, möglicherweise aber auch die Psychologie. Wer konnte das wissen. Tellmann hielt es immerhin für möglich, dass die beiden auch bei Nacht nicht Mann und Weib, sondern immer nur Gouverneur und Gouverneurin waren.
    Östlich des Palmenhains schloss sich zum Meer hin das Gouvernements viertel an. Helle Villen waren umgeben von blühenden Gärten und breiten, schattenspendenden Alleen. Die katholische und die evangelische Kirche spiegelten sich im stillen Wasser der Bucht. Dann folgten die Post, das Gouvernementshospital und ein palmengesäumter Platz mit einer Büste Kaiser Wilhelms. Der Gouverneur erläuterte den Gästen, dass hier sonntags eine Askari-Kapelle den Deutschen Marsch spiele, und zwar ziemlich gut, und zu Kaisers Geburtstag und am Sedanstag halte man hier jeweils eine Truppenparade ab. Am Ende einer weiteren Palmenallee stand auf einem hohen Sockel eine überlebensgroße Büste Fürst Otto von Bismarcks, und dahinter erstreckte sich ein herrlich grüner Park, in dessen Mitte sich in orientalischer Pracht der Gouverneurspalast erhob. Unter maurischen Bogen führte ein hoher Laubengang rings ums Haus, darüber befand sich eine breite, schattige Veranda, und hoch über dem ausladenden Dach flatterte die schwarzweißrote Fahne mit dem Reichsadler. Vom Haupteingang führte ein blumengesäumter, mit weißem Muschelkies bestreuter Weg zum Strand, auf dem sich mit leisem Klirren in Einerkolonne sieben Frauen näherten. Sie waren in braune Tücher gehüllt, auf den Köpfen balancierten sie große Weidenkörbe voller Muschelkies, und um den Hals trugen sie geschmiedete Eisen, die untereinander mit rhythmisch schwingenden Ketten verbunden waren und den Frauen die Haut auf den Schlüsselbeinen blutig scheuerten. Ihre Gesichter waren steinern, ihr Blick von
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