Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit
Autoren: Alex Capus
Vom Netzwerk:
rotgesichtigen Korporalen, die wahrscheinlich Hochstetter oder Wörns oder Finkelhuber hießen.
    Das alles war also nichts Ungewöhnliches. Fünf Schritte vor den Soldaten aber stand im strömenden Regen – die Frau des Gouverneurs. Mit der linken Hand ließ sie ihren weißen Schirm wirbeln, dass die Regentropfen tangential vom Schirmrand wegspritzten, und mit der rechten, hoch erhobenen Hand winkte sie zum Brückendeck hinauf. Ein derartiges Wesen, eine solche Erscheinung von geradezu außerirdischer Weißheit hatte Rüter noch nie gesehen. Unter dem wagenradgroßen, blütenweißen Hut, in dessen rosa Hutband ein hübscher kleiner Strauß weißer Blüten steckte, strahlten ihm zwei hellblaue Augen aus einem rundlich weichen, milchweißen Gesicht entgegen; die lächelnden, zart-rosa Lippen gaben eine Perlenreihe köstlicher kleiner Zähne frei, und als sie den Neuankömmlingen durch den Regen etwas zurief, was auf die Entfernung nicht zu verstehen war, bildete sich über dem Hals ein frauliches kleines Doppelkinn, und zwischen den Zähnen konnte man das helle Rot ihrer Zungenspitze ahnen. Anton Rüter kam auf den Gedanken, dass man höflicherweise zurückwinken müsste, und hob grüßend die Hand, worauf Wendt und Tellmann, die unterdessen ebenfalls an die Reling getreten waren, es ihm nachtaten. Als Rüter die beiden fragte, ob sie verstanden hätten, was die Frau gerufen hatte, gaben sie keine Antwort, sondern starrten weiter hinunter. Und als er die Frage ein erstes und ein zweites Mal wiederholte, knurrte der junge Wendt aus dem Mundwinkel, das sei doch nun wirklich egal, Mensch. Die Frau trug ein weißes Leinenkleid, das über ihre fülligen Hüften wogte und leuchtete, als verstecke sich unter dem Rock eine geheimnisvolle Lichtquelle. Am oberen Rand des Kleids blendete ein schneeweißes, fülliges Dekollete, unterhalb des Saums schimmerten weiße Seidenstrümpfe, und ihre Füße steckten in weißen Seidenschuhen, die im schwarzen Schlamm wundersamerweise makellos sauber geblieben waren. Die drei Schiffbauer standen da wie vom Donner gerührt. Ein solches Wesen – so eine Frau, falls es wirklich eine war – hatten sie noch nie gesehen. So etwas gab es nicht in Papenburg.
    Und dann hieß die Frau auch noch Schnee. Ada Schnee, geborene Burlington, aufgewachsen in Neuseeland als Tochter irisch-britischer Schafzüchter.
    Übrigens stand neben ihr, zwei Schirmradien entfernt unter einem schwarzen Regenschirm, ihr Gatte Heinrich Schnee, Doktor der Jurisprudenz, seit zwei Jahren Gouverneur Deutsch-Ostafrikas und oberster ziviler und militärischer Befehlshaber der Kolonie; ein hageres Männchen mit schwarzer, goldbetresster Uniformweste, weißer Hose mit roten Streifen und einem viel zu langen Offizierssäbel an der Seite, dessen Spitze beinahe den Zementboden der Landungsbrücke berührte. Er war ungefähr gleich groß wie seine Frau, vielleicht auch etwas kleiner oder größer, das war schwer zu sagen, weil er einen mit Baumwollstoff bespannten Tropenhelm aus Kork trug; als Zeichen seiner Amtswürde war der Helm goldgelb gefärbt und zuoberst mit einer vergoldeten Metallspitze versehen. Schnee war erst dreiundvierzig Jahre alt und schien von weitem jugendlich drahtig und flink auf den Beinen. Im Näherkommen aber wurde deutlich, dass er, wie es Europäern in den Tropen oft geschieht, vor der Zeit gealtert war. Seine Gesichtszüge waren starr und förmlich, der Mund ein schmaler Strich, der Schnurrbart schien ihm wie zum Scherz angeklebt, und der Hals war ledern und faltig. Als er seiner Gattin den Arm bot, um an ihrer Seite den Passagieren der Feldmarschall entgegenzugehen, tat er das mit der steifen Grazie eines gut erhaltenen Pensionisten; und als er die drei Papenburger Schiffbauer am Ende der Landungsbrücke willkommen hieß, klang seine Ansprache angestrengt schneidig und dabei scheu und zaghaft, als fürchte er, die jungen Leute könnten sich über seine altväterliche Ausdrucksweise lustig machen. Die drei Papenburger ihrerseits, die sich erstens nicht für junge Leute hielten und zweitens nicht im Traum auf den Gedanken verfallen wären, sich über den Herrn Gouverneur lustig zu machen, antworteten abwechselnd mit Gehüstel, ungelenkem Dank und zerbröselnden Bemerkungen über die problemlos verlaufene Schiffsreise – und dann machte sich im prasselnden Regen zwischen den vier Männern ein zähes, peinigendes Schweigen breit, aus dem sie nie wieder herausgefunden hätten, wäre ihnen nicht die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher