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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance
Autoren: Diana W. Jones
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angerufen.«
    »Koryfos«, antwortete ich. »Ich mußte eine Beschwerde an die Großmeisterin schicken.«
    »Schon wieder«, stöhnte er. »Sie bekommt Beschwerden von jedem Magid, der auch nur entfernt mit der Bande zu tun hatte. Machtmißbrauch. Verstoß gegen die Menschenrechte. Bestechungsversuche. Allgemeine Verderbtheit. Ich glaube immer, sie packt sie alle in einen Ordner mit dem Etikett K.I., den sie dann auf Nimmer- wiederfinden verlegt.«
    »Kann ich dir irgend etwas bringen?«
    »Hätte nicht viel Zweck. Mir bleibt noch eine Stunde oder so - nicht genug Zeit, um etwas zu verdauen -, aber einen Schluck Wasser wüßte ich zu schätzen.«
    Ich holte ihm ein Glas Wasser aus der Küche und stützte ihn, während er trank. Er war sehr schwach, und er verströmte diesen Geruch. Der Geruch ist nicht zu beschreiben, doch er haftet nur den Todkr ank en an, und wenn man ihn einmal geatmet hat, vergißt man ihn nie wieder. Ich kenne ihn von meinem Großvater. »Soll ich den Arzt anrufen?«
    »Noch nicht.« Er ließ sich schweratmend zurücksinken. »Erst haben wir noch einiges zu besprechen.«
    »Laß dir Zeit«, sagte ich.
    »Mach keine dummen Scherze. Also gut, fangen wir an. Rupert, du bist Juniormagid der Erde, deshalb fällt dir die Aufgabe zu, meinen Nachfolger zu finden und zu fördern - aber das hast du gewußt, hoffe ich.«
    Ich nickte. Die Zahl der Magids ist immer konstant. Wir bemühen uns, die durch Todesfälle entstandenen Lücken so schnell wie möglich zu füllen, weil es viel für uns zu tun gibt. Aus dem Grund hatte Stan seinerzeit mich und auch meine Brüder unter seine Fittiche genommen.
    Drei Magids waren nacheinander innerhalb von sechs Monaten gestorben, lange bevor Will über die nötige Kompetenz verfügte. Davor war Stan fast zehn Jahre lang der Juniormagid dieser Welt gewesen. Wie ich zu Will gesagt hatte, ein Unglück ko mm t selten allein.
    »Nun, dazu habe ich dir einige Dinge zu sagen«, fuhr Stan fort. »Erstens, ich habe für dich eine Kandidatenliste zusammengestellt. Du findest sie in der linken oberen Schublade meines Schreibtischs da drüben, wo auch mein Testament liegt. Sei so gut und nimm sie an dich, bevor jemand anders sie sieht.«
    »Wie? Jetzt?«
    »Warum nicht jetzt?«
    Aberglaube, dachte ich, während ich an den Schreibtisch trat. Ich wollte mich nicht benehmen, als wäre Stan bereits tot, während er noch lebte. Doch ich öffnete die Schublade und nahm die zusammengefaltete Liste heraus. »Sie ist zie mli ch kurz.«
    »Du kannst Namen hinzufügen, die dir geeignet erscheinen. Aber sieh dir erst meine Vorschläge an. Ich habe den ganzen letzten Monat damit verbracht, ein paar gute, starke Kandidaten für dich auszusuchen. Zwei von ihnen sind sogar schon einmal Magids gewesen, in einem früheren Leben.«
    »Ist das eine besondere Empfehlung?« fragte ich. Stan war fasziniert von der Idee der Wiedergeburt, meines Erachtens seine größte Schwäche. Blauäugig glaubte er alles, was Leute ihm über das Thema Reinkarnation erzählten. Nie schien ihm aufzufallen, daß keiner, der behauptete, schon einmal gelebt zu haben, sich je an ein normales Dasein erinnerte. Imm er waren es Könige, Königinnen und Hohepriesterinnen.
    Er grinste, wodurch sein Gesicht noch mehr Ähnlichkeit mit einem Totenschädel bekam; er kannte meine Einstellung zu seinem Steckenpferd. »Nun ja, wenn sie danach gestrebt haben, wiedergeboren zu werden, ist das ein Zeichen von Ehrgeiz. Aber der Vorteil ist natürlich, daß sie den größten Teil des Wissens von Anfang an im Unterbewußtsein gespeichert haben und sich nur erinnern müssen, und gewöhnlich bringen sie eine besonders große magische Begabung mit. Doch alle auf meiner Liste sind vielversprechende Talente. Die besten ungeschulten in der Welt.« Er machte eine Pause, das Atmen fiel ihm zusehends schwerer. »Und nimm dir Zeit, um sie zu beobachten«, sagte er. »Ich weiß, es soll schnell gehen, aber lieber nichts überstürzen. Tu, was ich getan habe: Ich ließ dich fast ein ganzes Jahr in Ruhe. Hauptsächlich, weil ich nicht glauben konnte, daß drei Brüder aus derselben Familie alle das Zeug zum Magid haben sollten. Dann dachte ich: Warum nicht? Schließlich gibt es diese Sache mit der Vererbung. Aber ich habe dir nie erzählt, was mich in deinem Fall letztendlich überzeugt hat, oder?«
    »Meine offensichtliche Überlegenheit?«
    Er kicherte in sich hinein. »Mitnichten, vielmehr die Tatsache, daß du in mindestens zwei vorherigen Leben schon
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