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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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einer Vierzigjährigen nicht das der Dreißigjährigen ist. Es gibt vier Lebensalter im Frauenleben. Jedes Alter schafft eine neue Frau. Sicherlich kannte Vandenesse die Gesetze dieser Veränderungen, die Folgen unsrer heutigen Sitten, aber er vergaß sie bei sich selbst, wie der beste Grammatiker die Regeln vergessen kann, wenn er ein Buch schreibt, wie der größte Feldherr sich im Drange der Schlacht von den Zufällen der Kriegslage hinreißen läßt, ein unumstößliches Gesetz der Kriegskunst zu vergessen. Ein Mensch, der den Gedanken fortwährend in die Tat umsetzen kann, ist ein Genie, aber auch der genialste Mensch entwickelt nicht stets das gleiche Genie, sonst wäre er zu gottähnlich. Nach vier Jahren eines Lebens ohne seelische Erschütterungen, ohne ein Wort, das den geringsten Mißton in dies sanfte Gefühlskonzert gebracht hätte, als die Gräfin sich wie eine schöne Pflanze in gutem Boden voll entwickelt hatte und unter den Liebkosungen einer wohltätigen Sonne gedieh, die an einem ewig blauen Himmel strahlte, geschah es, daß sie sich sozusagen auf sich selbst besann. Diese Krisis ihres Lebens, der Gegenstand der vorhin geschilderten Szene, wäre ohne Erklärungen unbegreiflich. Nur durch sie läßt sich vielleicht in den Augen der Frauen das Unrecht der jungen Gräfin mildern, die ebenso glücklich als Gattin wie als Mutter war, ein Unrecht, das auf den ersten Blick unentschuldbar erscheinen muß.
    Leben entsteht aus dem Gegenspiel zweier Grundtriebe; fehlt der eine, so leidet der andre. Indem Vandenesse alle Wünsche befriedigte, unterdrückte er das Verlangen, die Krone der Schöpfung, das eine ungeheuere Fülle von Seelenkräften ins Werk setzt. Die äußerste Glut, das tiefste Unglück, das vollkommene Glück, alles Unbedingte herrscht in unfruchtbaren Gebieten. Sie wollen allein sein und ersticken alles, was nicht wie sie ist. Vandenesse war keine Frau, und allein die Frauen verstehen die Kunst, Abwechslung in das Glück zu bringen. Daher ihre Gefallsucht, ihr Neinsagen, ihre Streitlust und die klugen, geistvollen Torheiten, mit denen sie heute etwas in Frage stellen, was gestern keinerlei Schwierigkeit bot. Männer können durch ihre Beständigkeit langweilen, Frauen nie. Vandenesse war ein zu grundgütiger Charakter, um eine geliebte Frau absichtlich zu quälen; er trug sie in die blaueste, wolkenloseste Unendlichkeit der Liebe. Das Problem der ewigen Seligkeit gehört zu denen, die Gott allein im nächsten Leben zu lösen vermag. Auf Erden haben die größten Dichter ihre Leser mit der Schilderung des Paradieses ewig gelangweilt. Dantes Klippe war auch die des Grafen Vandenesse: Ehre dem erfolglosen Mute! Seine Frau fand ein so trefflich geordnetes Eden schließlich etwas eintönig. Das vollkommene Glück, das die erste Frau im irdischen Paradies empfand, rief bei ihr jene Übelkeit hervor, die der Genuß alles Süßen auf die Dauer hervorruft. Es flößte der Gräfin den gleichen Wunsch ein, den Rivarol bei der Lektüre von Florian empfand: nämlich einem Wolf im Schafstall zu begegnen. Das galt wohl jederzeit als der Sinn der symbolischen Schlange, an die Eva sich wendet, wahrscheinlich aus Langeweile.
    Diese Moral erscheint vielleicht gewagt in den Augen von Protestanten, die die Genesis ernster nehmen als selbst die Juden. Aber die seelische Verfassung der Frau von Vandenesse läßt sich auch ohne biblische Gleichnisse erklären. Sie fühlte gewaltige Kräfte ihrer Seele brach liegen. Ihr Glück brachte ihr kein Leid, es war ohne Sorgen und Ängste, sie zitterte nicht, es zu verlieren, es kehrte allmorgendlich wieder, mit dem gleichen Blau, dem gleichen Lächeln, den gleichen reizenden Worten. Dieser reine See war durch keine Brise gerunzelt, nicht einmal durch den Zephir; sie hätte seinen Spiegel gern bewegt gesehen. Ihr Verlangen hatte etwas Kindliches, das sie entschuldigen müßte, aber die Welt ist nicht nachsichtiger als der Gott der Genesis. Die Gräfin war geistreich geworden, sie begriff ausgezeichnet, wie verletzend ihr Gefühl sein mußte, und fand es entsetzlich, es ihrem »lieben Männchen« anzuvertrauen. In ihrer Einfalt hatte sie kein andres Liebeswort geprägt, denn die holde Sprache der Übertreibung, die die Liebesglut ihre Opfer lehrt, läßt sich nicht kalten Blutes erfinden. Vandenesse war über ihre bewundernswerte Zurückhaltung glücklich und hielt seine Gattin mit klugem Bedacht in der gemäßigten Zone der ehelichen Liebe. Überhaupt fand dieser Mustergatte
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