Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine dunkle & grimmige Geschichte

Eine dunkle & grimmige Geschichte

Titel: Eine dunkle & grimmige Geschichte
Autoren: Adam Gidwitz
Vom Netzwerk:
ihr.«
    »Und müssen wir zur Schule gehen?«
    »Natürlich!«, bejahte sie.
    »Gut!« Gretel bedankte sich bei der Frau, und sie und Hänsel fingen an, langsam und nicht gierig zu essen.
    In der Zwischenzeit begann sich der Vater zu wundern, wo das Bad blieb. In ihrer Eile, es dem Vater recht zu machen, war den sieben Söhnen die Badewanne in den Brunnen gefallen.
    »Er wird schrecklich wütend werden!«, flüsterte der älteste Sohn.
    Der jüngste rief: »Er wird uns sicherlich schlagen!«
    Sie umringten den Brunnen und fragten sich, was sie tun sollten.
    Zu Hause wurde der Vater ungeduldig. »Wo sind diese dummen Jungen?«, flüsterte er seiner Frau in der Küche zu. »Unsere neue Tochter und unser neuer Sohn wollen ein Bad nehmen!«
    Als die Jungen kurz darauf immer noch nicht zurückgekehrt waren, fluchte der Mann und sagte: »Sie sind zu nichts zu gebrauchen! Ich wünschte, sie würden sich in Vögel verwandeln und wegfliegen!«
    In diesem Moment verwandelten sich die sieben Jungen in sieben Schwalben und flogen in die Luft. Sie flatterten am Küchenfenster vorbei, bevor sie im Wald verschwanden. Die Frau sah es und drehte sich wutentbrannt zu ihrem Mann um. Aber er sagte, dass es so am besten wäre, sie hätten sich ohnehin immer eine Tochter gewünscht. Die Frau musste ihrem Mann versprechen, dass sie ihren neuen Kindern niemals von den sieben Brüdern erzählen würde. Denn was würde es nützen, wenn sie es wüssten? Widerwillig und mit Tränen in den Augen versprach sie es.
    Anfangs lebten sie glücklich in dem kleinen, gemütlichen Haus. Hänsels und Gretels neue Eltern waren liebevoll und kümmerten sich besonders gut um Gretel. Aber schon bald begannen die Kinder, sich Sorgen zu machen. Ihr neuer Vater war glücklich, aber ihre neue Mutter war stets bedrückt. Gretel liebte ihre Mutter über alles. Sie hielt es kaum aus, sie so traurig zu sehen.
    »Sag, Mutter«, fragte sie von Zeit zu Zeit. »Sag mir, was dich bedrückt!« Aber ihre Mutter zwang sich dann immer zu lächeln und scheuchte Gretel weg.
    Nach und nach bemerkten Hänsel und Gretel noch mehr seltsame Dinge. In ihrem Zimmer standen sieben Betten und immer wieder fragten sie ihre neuen Eltern nach deren Zweck. Ihre Eltern erzählten ihnen, dass der Raum zuvor ein Gästezimmer gewesen sei.
    Aber Gretel konnte das nicht so recht glauben. »Wer hat sieben Gäste auf einmal und bringt sie alle in demselben Raum unter?«, fragte sie sich.
    Hänsel machte sich weniger Gedanken. Als er eines Tages das Zimmer betrat, fand er dort seinen neuen Vater, wie er die sieben leeren Betten anstarrte und ihm dabei eine Träne über die Wange lief. Hänsel wusste nichts damitanzufangen. Er war zu sehr damit beschäftigt, glücklich zu sein und ein neues Zuhause zu haben, in dem ihm kein Vater den Kopf abschlagen und keine böse Frau ihn essen wollte.
    Aber Gretel fühlte sich immer weniger wohl. Sie hörte die Leute im Ort flüstern: »Es sind nette Kinder. Aber so ein Opfer zu bringen! Alle sieben auf einmal.« Und sie wunderte sich immer mehr darüber, dass ihre Mutter so traurig war.
    Eines Tages erzählte eines der Kinder aus dem Dorf Gretel die ganze Geschichte. Ein paar andere Kinder nickten und sahen sie aus großen, traurigen Augen an. In einem kleinen Dorf weiß jeder alles über jeden.
    »Wir können hier nicht mehr leben!«, flehte Gretel ihren Bruder in derselben Nacht an. »Es ist unsere Schuld, dass die Jungen sich in Schwalben verwandelt haben! Wir müssen etwas tun!«
    Hänsel war am Boden zerstört. »Gibt es denn überhaupt keine guten Eltern in dieser großen, weiten Welt?«, murmelte er.
    »Es ist meine Schuld«, sagte Gretel, denn die Kinder hatten ihr erzählt, wie sehr der Vater eine Tochter wollte. »Er hat es wegen mir getan.« Sie sah Hänsel an. »Wir müssen sie finden.«
    »Was? Wen?«
    »Die Schwalben.«
    »Wie sollen wir denn sieben kleine Vögel da draußen finden?«, fragte Hänsel und zeigte zum Zimmerfenster.Wie er es sagte, erschien »da draußen« unendlich groß und weit.
    Gretel wusste es auch nicht. Sie wusste jedoch, dass sie es versuchen mussten. Sonst würde sie an ihren Schuldgefühlen zugrunde gehen. Hänsel war überzeugt, dass sie die Schwalben niemals finden könnten. Aber plötzlich hatte er Angst, dass der Vater ihn auch in eine Schwalbe verwandeln könnte. Deshalb stimmte er zu, es zu versuchen.
    Als es düsterste Nacht war und ihre Eltern tief und fest schliefen, verließen die Kinder das Haus, um die sieben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher