Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine dunkle & grimmige Geschichte

Eine dunkle & grimmige Geschichte

Titel: Eine dunkle & grimmige Geschichte
Autoren: Adam Gidwitz
Vom Netzwerk:
Schwarm brauner Flügel die Kinder zurück in den Schnee und sieben Schwalben flatterten aus dem Berg. Sie setzten sich auf den Boden und musterten Hänsel und Gretel neugierig mit ihren schwarzen Augen.
    »Es hat nicht funktioniert«, sagte Gretel ungläubig. Ihre blutende Hand begann jetzt richtig zu schmerzen.
    Hänsel beobachtete, wie die Schwalben stumm im Schnee herumstolzierten. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Sie waren immer noch Vögel. Ihm war zum Weinen zumute.
    Nach ein paar Minuten der Verwirrung und Stille beugte sich Gretel zu der kleinsten Schwalbe hinunter.
    »Es ist Zeit, nach Hause zu gehen, kleine Schwalbe«, sagte sie. »Eure Mutter vermisst euch.« Die Schwalben starrten sie wortlos an.
    Hänsel dachte an den Vater der Jungen und erinnerte sich an die Träne.
    »Auch euer Vater vermisst euch«, sagte er.
    Plötzlich begannen die Krallen der Schwalben sich zu verändern und ihre Beine wurden dicker und länger. Ihre Flügel und Finger verwandelten sich in Handgelenke und Ellenbogen und ihnen wuchsen Schultern. Die schwarzen Augen wurden blasser, ihre Federn wurden zu Haaren und Kleidern, und am Ende waren Hänsel und Gretel von den sieben Brüdern umringt.
    »Er vermisst uns wirklich?«, fragte der kleinste von ihnen. Hänsel und Gretel, die von der Verwandlung vollkommen erstaunt waren, nickten stumm.
    Die Jungen umarmten sich, lachten und jubelten. Der älteste wandte sich an Hänsel und Gretel und lud sie in den Kristallberg ein, wo sie alle warme Milch tranken, Schwarzwälder Kirschtorte aßen und bis tief in der Nacht redeten.
    Am nächsten Tag luden die Brüder Hänsel und Gretel ein, mit ihnen zurück nach Hause zu kommen.
    Hänsel und Gretel erbaten sich Zeit zum Nachdenken. Als sie alleine waren, sagte Hänsel: »Ich will nicht zurückgehen, Gretel.«
    Gretel nickte nachdenklich. Hänsel setzte sich auf den Boden. »Ich will nicht bei einem Vater leben, der in der Lage ist, seinen Kindern so etwas anzutun.« Er dachte an all die anderen Eltern, die sie kennengelernt hatten. Sein eigener Vater hatte ihm den Kopf abgeschnitten. Die Bäckersfrau hatte versucht, ihn zu essen. Und sein neuer Vater hatte seine Kinder zu Schwalben verwünscht.
    Gretel dachte genau das Gleiche. Sie blickte auf ihre Hand, dorthin, wo ihr Finger hätte sein sollen. Sie sah Hänsel an. Er war schlanker und muskulöser als je zuvor. Sie waren beide viel stärker geworden auf ihrer Reise zum Kristallberg.
    »Vielleicht brauchen wir gar keine Eltern«, sagte sie nachdenklich. »Vielleicht können wir auf uns selber aufpassen.«
    »Ja!«, rief Hänsel und sprang auf. »Lass uns ganz ohne irgendwelche schrecklichen Eltern leben!«
    Und die zwei tapferen Kinder, die nun beide ein wenig älter und viel, viel weiser waren als früher – und gemeinsam nur noch 19 Finger hatten – zogen in die Welt, um ihr eigenes Leben zu beginnen.
    Ich werde jetzt nicht noch einmal »Ende« sagen. Ihr wisst sowieso, dass es nicht stimmt.
    Die nächste Geschichte ist wirklich düster. Furchterregende Dinge passieren. Es könnte sein, dass sie euch Angst machen – und das sage ich zu den großen Kindern.
    Was die kleinen Kinder angeht: Falls sie immer noch zuhören sollten, so warne ich euch, nein, ich flehe euch an: Scheucht sie weg. Lasst sie diese Geschichte auf keinen Fall hören. Sie könnten davon Albträume bekommen. Nein, sie werden davon Albträume bekommen.
    Lest die Geschichte zuerst selber einmal durch. Und falls ihr dann denkt, dass die kleinen Kinder sie aushalten, dann könnt ihr sie ihnen vielleicht, vielleicht vorlesen. Wenn sie aber anschließend wochenlang nicht schlafen können, seid ihr ganz allein daran schuld.



E s waren einmal ein Bruder und eine Schwester, die klatschten in die Hände (einer der Hände fehlte ein Finger) und liefen die weißen Berge hinab, durch grüne Hügel und große, wundervolle Wälder.
    Ihr Weg war gesäumt von riesigen Bäumen, die aussahen wie die Säulen des Himmels. Die Vögel sangen und flogen ganz nah an ihren Gesichtern vorbei. Kleine Nagetiere, Eichhörnchen und Mäuse, schlüpften aus dem Unterholz. Ein Rehkitz sah sie mit großen Augen an, versteckt hinter einem Büschel Farne, und lief dann seiner Mutter hinterher. Alles in diesem Wald war grüner und lebendiger als an jedem anderen Ort, den Hänsel und Gretel jemals gesehen hatten.
    Der Wald verfehlte nicht seine Wirkung auf die Kinder. Hänsel lief vor seiner Schwester her und sprang durch die Farne und wieder zurück,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher