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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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mußte der erste ein guter Kerl sein. Er konnte wohl selbst einen Kopf abschneiden, aber der andre war imstande, Unschuld, Schönheit und Tugend in die Netze der Verleumdung und der Ränke zu verstricken und sie kaltherzig zu ertränken oder zu vergiften. Der Rotbäckige hätte sein Opfer mit Witzen getröstet, der andre nicht mal gelächelt. Der erste war fünfundzwanzig Jahre alt, er mußte die Tafelfreuden und Frauen lieben. Solche Leute haben sämtlich Leidenschaften, die sie zu Sklaven ihres Berufes machen. Aber der Jüngere war ohne Leidenschaften und Laster. War er Spion, dann gehörte er zur Diplomatie und arbeitete um der Kunst willen. Er entwarf Pläne, der andre führte sie aus; er war der Gedanke, der andre die Hand.
    »Wir sind wohl in Gondreville, gute Frau?« fragte der Jüngere.
    »Hier sagt man nicht gute Frau«, antwortete Michu. »Wir nennen uns noch einfach Bürger und Bürgerin.«
    »Ach!« sagte der junge Mann mit der natürlichsten Miene und schien keineswegs verletzt. In einer Gesellschaft empfinden die Spieler, namentlich beim Ecarté, oft einen inneren Schrecken, wenn sich vor ihnen, mitten in ihrem Glück, ein Mitspieler niederläßt, dessen Blick und Stimme, dessen Art, die Karten zu mischen, ihnen eine Niederlage prophezeit. Beim Anblick des jungen Mannes hatte Michu ein ähnliches Gefühl. Er hatte eine Todesahnung und sah undeutlich das Schafott vor sich. Eine Stimme raunte ihm zu, dieser Stutzer werde ihm verderblich werden, obwohl sie noch nichts miteinander gemein hatten. Daher hatte er schroff geantwortet; er wollte grob sein und war es.
    »Unterstehen Sie nicht dem Staatsrat Malin?« fragte der zweite Pariser.
    »Ich bin mein eigener Herr«, entgegnete Michu.
    »Nun denn, meine Damen,« fragte der junge Mann äußerst höflich, »sind wir in Gondreville? Wir werden dort von Herrn Malin erwartet.«
    »Der Park ist dort«, sagte Michu und wies auf das Gitter.
    »Und warum verstecken Sie diese Büchse, schönes Kind?« fragte der joviale Begleiter des jungen Mannes, als er durch das Gittertor schritt und den Lauf erblickte:
    »Du bist stets bei der Arbeit, selbst auf dem Lande!« rief der junge Mann lächelnd.
    Alle beide kehrten, von Mißtrauen ergriffen, um. Der Verwalter erriet den Grund, trotz der Gleichgültigkeit ihrer Mienen. Martha ließ sie die Büchse besehen, während Couraut bellte. Sie war überzeugt, daß Michu irgendeinen schlimmen Streich plante, und fast froh über den Scharfblick der Unbekannten. Michu warf seiner Frau einen Blick zu, bei dem sie erbebte. Dann ergriff er die Büchse und wollte eine Kugel in den Lauf stoßen. Er nahm die schlimmen Möglichkeiten dieser Entdeckung und Begegnung hin. Sein Leben schien ihm nichts mehr wert, und seine Frau begriff seinen verhängnisvollen Entschluß wohl.
    »Sie haben wohl Wölfe hier?« fragte der junge Mann Michu.
    »Wölfe sind überall, wo es Schafe gibt. Die Herren sind in der Champagne, und hier ist ein Wald. Aber wir haben auch Wildschweine, große und kleine. Wir haben von allem etwas«, sagte Michu mit spöttischer Miene.
    Der Ältere wechselte einen Blick mit dem andern. Dann sagte er: »Ich wette, Corentin, dieser Mann ist mein Michu...«
    »Wir haben noch keine Schweine zusammen gehütet«, sagte der Gutsverwalter.
    »Nein, aber wir waren Vorsitzende des Jakobinerklubs, Bürger «, entgegnete der alte Zyniker. »Sie in Arcis, ich anderswo. Du hast die Höflichkeit der Carmagnole bewahrt, aber sie ist nicht mehr in Mode, mein Junge.«
    »Der Park scheint mir recht groß. Wir könnten uns darin verlaufen. Wenn Sie der Verwalter sind, lassen Sie uns ins Schloß führen«, sagte Corentin in gebieterischem Tone.
    Michu pfiff seinem Sohn und lud seine Büchse weiter. Corentin blickte Martha gleichgültig an, während sein Gefährte entzückt schien. Aber er bemerkte an ihr Spuren von Angst, die dem alten Wüstling entgingen. Hatte ihn doch selbst die Büchse erschreckt. Beider Wesen spiegelte sich vollkommen in dieser bedeutsamen Kleinigkeit. »Ich habe ein Stelldichein jenseits des Waldes«, sagte der Verwalter. »Ich kann Ihnen diesen Dienst nicht selbst leisten; aber mein Sohn wird Sie zum Schloß führen. Von wo kommen Sie denn nach Gondreville? Wohl über Cinq-Cygne?«
    »Wir hatten wie Sie im Walde zu tun«, sagte Corentin mit unmerklicher Ironie.
    »Franz!« rief Michu, »führe die Herren auf Fußwegen zum Schloß, damit man sie nicht sieht.
    Sie gehen nicht auf der großen Straße ... Erst komm mal her!«
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