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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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ein paar Augenblicke vor dem Sturm seine beiden achtzehnjährigen Söhne, die sich durch ihren Mut bloßstellen konnten, ihrer Tante, der Gräfin Cinq-Cygne, anvertraut. Zwei dem Hause Simeuse ergebene Diener hielten die jungen Leute eingesperrt. Der Greis, der nicht wollte, daß sein Name erlosch, hatte angeordnet, seinen Söhnen im Fall des äußersten Unglücks alles zu verbergen.
    Laurence, damals zwölf Jahre alt, wurde von beiden Brüdern gleich geliebt und liebte sie ebenso. Wie viele Zwillinge, glichen die beiden Simeuses sich derart, daß ihre Mutter ihnen lange Zeit Kleider von verschiedener Farbe gab, um sie zu unterscheiden. Der Erstgeborene hieß Paul Maria, der zweite Maria Paul. Laurence von Cinq-Cygne, der das Geheimnis der Lage anvertraut war, spielte ihre Frauenrolle sehr gut. Sie flehte ihre Vettern an, machte sie nachgiebig und bewachte sie, bis der Pöbel das Haus Cinq-Cygne umringte. Nun begriffen beide Brüder die Gefahr augenblicklich und sagten es sich durch einen Blick. Ihr Entschluß stand sofort fest; sie bewaffneten ihre beiden Diener, die der Gräfin Cinq-Cygne, verrammelten die Tür, schlossen die Fensterläden und stellten sich dann mit fünf Dienern und dem Abbé von Hauteserre, einem Verwandten der Cinq-Cygnes, an den Fenstern auf. Die acht mutigen Kämpfer eröffneten ein mörderisches Feuer auf die Volksmasse. Jeder Schuß tötete oder verwundete einen Angreifer. Laurence verzweifelte nicht, sie lud die Gewehre mit äußerster Kaltblütigkeit und versah die Schützen mit Kugeln und Pulver. Die Gräfin Cinq-Cygne war in die Knie gesunken.
    »Was tust du, Mutter?« fragte Laurence.
    »Ich bete,« entgegnete sie, »für sie wie für euch.«
    Im Nu waren elf Personen getötet und lagen zwischen den Verwundeten am Boden. Derartige Ereignisse kühlen den Pöbel ab oder steigern seine Wut; er verbeißt sich in sein Vorhaben oder gibt es auf. Die Vordersten wichen entsetzt zurück, aber die ganze Masse, die morden und rauben wollte, schrie beim Anblick der Toten: »Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!«
    Die vorsichtigen Leute gingen den Volksvertreter holen. Die beiden Brüder, die nun von den schicksalsvollen Ereignissen des Tages erfuhren, schöpften Verdacht, das Konventsmitglied wollte den Untergang ihres Hauses, und dieser Verdacht ward alsbald zur Gewißheit. Von Rachedurst getrieben, stellten sie sich in die Toreinfahrt und luden ihre Gewehre, um Malin im Augenblick seines Erscheinens zu töten. Die Gräfin hatte den Kopf verloren. Sie sah ihr Haus in Asche und ihre Tochter ermordet. Sie schalt ihre Verwandte für die heldenhafte Verteidigung, die Frankreich acht Tage lang beschäftigte. Laurence öffnete die Tür ein wenig, als Malin sie dazu aufforderte. Bei ihrem Anblick verließ sich der Volksvertreter auf seine gefürchtete Eigenschaft, auf die Schwäche des Kindes und trat ein.
    »Wie, mein Herr,« antwortete sie auf seine ersten Worte, als er Rechenschaft über diesen Widerstand forderte, »Sie wollen Frankreich die Freiheit geben, und Sie schützen die Leute nicht im eignen Hause! Man will unser Haus zerstören, uns ermorden, und wir sollten nicht mal das Recht haben, Gewalt mit Gewalt zurückzuweisen!...«
    Malin stand wie angenagelt.
    »Sie, der Enkel eines Maurers, den der große Marquis beim Bau seines Schlosses beschäftigt hat,« sagte Maria Paul zu ihm, »Sie dulden, daß unser Vater ins Gefängnis geschleppt wird, und hören auf eine Verleumdung!«
    »Er wird in Freiheit gesetzt werden«, sagte Malin, der sich für verloren hielt, als er sah, wie die beiden jungen Leute krampfhaft ihre Gewehre schwenkten.
    »Diesem Versprechen verdanken Sie Ihr Leben«, sagte Maria Paul feierlich. »Aber wird es nicht heute abend erfüllt, so werden wir Sie zu finden wissen!« »Was diesen brüllenden Pöbel betrifft,« sagte Laurence, »so schicken Sie ihn fort, oder der erste Schuß trifft Sie... Nun, Herr Malin, gehen Sie hinaus!«
    Das Konventsmitglied ging hinaus und hielt eine Ansprache an die Menge. Er sprach von der Heiligkeit des Herdes, vom Habeas corpus und dem englischen Hausrecht. Er sagte, das Gesetz und das Volk seien souverän, das Gesetz sei das Volk und das Volk dürfe nur durch das Gesetz handeln; das Gesetz müsse gewahrt bleiben. Das Gesetz der Notwendigkeit machte ihn beredt; er zerstreute den Auflauf. Aber nie vergaß er den Ausdruck der Verachtung im Gesicht der beiden Brüder, noch das »Gehen Sie hinaus« des Fräuleins von Cinq-Cygne. Als daher die Rede davon
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