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Eine bezaubernde Erbin

Eine bezaubernde Erbin

Titel: Eine bezaubernde Erbin
Autoren: Sherry Thomas
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lösen zu können.
    „Ein Spieler aus Harrow konnte nicht aufhören, dich anzustarren“, fuhr Tony fort. „Wenn ihm jemand Besteck gereicht hätte, hätte er dich ohne Zögern verschlungen.“
    Sie gab keine Antwort. Wenn Tony sich in einer seiner Launen befand, war es sinnlos, irgendetwas zu sagen. Wolken zogen sich über ihnen zusammen. Unter ihren sich ausbreitenden Schatten wurden die Blätter grau – nichts in London entkam der Herrschaft des Rußes.
    „Wäre ich nicht so diskret, würde ich ihm erzählen, dass du keine Kinder bekommen kannst. Du bist eine kunstvolle Täuschung Gottes, Venetia. Äußerlich so schön, aber nutzlos, wo es darauf ankommt.“
    Seine Worte tropften wie Säure in ihr Herz, brannten und fraßen sich hinein. Auf dem Bürgersteig öffneten die Fußgänger ihre Regenschirme, die sie immer griffbereit hielten. Zwei dicke Tropfen trafen das Fenster der Kutsche. Sie rannen an der Fensterscheibe entlang und hinterließen lange, verwischte Schlieren.
    „Es steht nicht fest, dass ich keine Kinder bekommen kann“, wandte sie ein. Sie hätte schweigen sollen. Ihr war bewusst, dass er sie nur provozierte. Doch irgendwie konnte sie bei diesem Thema nie schweigen.
    „Wie vieler Ärzte bedarf es denn noch, um dich davon zu überzeugen? Nebenbei bemerkt, meine Freunde heiraten und haben innerhalb eines Jahres bereits einen Erben. Wir sind seit zwei Jahren verheiratet, aber du scheinst überhaupt nicht schwanger werden zu wollen.“
    Sie biss sich auf die Innenseite ihrer Lippen. Die Schuld an ihrer Kinderlosigkeit konnte genauso gut bei ihm liegen, doch er weigerte sich, diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen.
    „Es wird dich jedoch freuen zu hören, dass dein Aussehen nicht vollständig nutzlos ist. Howard hat zugestimmt, sich an meiner Eisenbahngesellschaft zu beteiligen – und ich möchte meinen, er hat das getan, um mehr Gelegenheiten zu erhalten, dich zu verführen“, sagte Tony.
    Endlich sah sie ihn an. Die Härte seiner Stimme spiegelte sich in seinem Gesicht wider, seine einst gewinnenden Züge wirkten nun versteinert und harsch. Solange er ihr den Hof gemacht hatte, hatte sie ihn unglaublich anziehend gefunden – lustig, klug und von Hunger nach Leben erfüllt. Hatte er sich wirklich so verändert, oder war sie blind vor Liebe gewesen?
    Wenn er Howard doch dafür verachtete, dass er sie begehrte, warum ließ er ihn dann immer mehr zu einem Teil ihres Leben werden? Sie waren nicht auf die Eisenbahngesellschaft angewiesen. Ebenso wenig wie auf einen weiteren Quell für schlechte Laune bei ihm.
    „Wirst du mich betrügen?“, wollte er plötzlich wissen.
    „Nein“, sagte sie, mit einem Mal so unendlich müde. Seine Verachtung und die Ablehnung, die er ihr entgegenbrachte, waren in ihrer Ehe fast schon zur Normalität geworden. Das Einzige, was ihm wichtig war – oder zumindest schien es ihr manchmal so –, war ihre Treue.
    „Gut. Nach dem, wozu du mich gemacht hast, ist mir die Treue zu halten das Mindeste, was du tun kannst.“
    „Wozu habe ich dich denn gemacht?“ Sie mochte kein Musterexemplar einer Ehefrau sein, aber sie hatte sich stets untadelig verhalten. Sie umsorgte ihn, überzog nie das ihr zur Verfügung gestellte Nadelgeld und ermutigte Männer wie Howard in keiner Weise.
    Seine Stimme klang bitter. „Stell keine dummen Fragen.“
    Sie drehte sich wieder zum Fenster um. Der Gehsteig war unter einem Meer aus schwarzen Regenschirmen verschwunden.
    Selbst im Inneren der Kutsche spürte sie die einsetzende Kälte. Der Sommer würde in diesem Jahr früh enden.
    Kurz darauf beendete Christian sein letztes Trimester in Harrow und ging zum Studium der Naturwissenschaften nach Cambridge. Im Sommer nach seinem zweiten Jahr am Trinity College nahm er an einer Ausgrabung in Deutschland teil. Auf seiner Rückreise nach Algernon House machte er in London Halt, um eine neue Lieferung Meeresfossilien in der naturhistorischen Abteilung des British Museum zu begutachten, Fossilien, die der Öffentlichkeit noch einige Monate vorenthalten bleiben würden.
    Die Diskussion, die über die neuen Exponate entbrannte, war äußerst anregend. So anregend, dass Christian eine Einladung zum Abendessen mit dem Kurator und einigen seiner Kollegen annahm, statt seine Heimreise fortzusetzen. Im Anschluss daran entschloss er sich, eine Stunde in seinem Club zu verbringen, statt sich direkt in sein Stadthaus zu begeben, das ein paar wenige Bedienstete jederzeit in benutzbarem Zustand
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