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Eindeutig Liebe - Roman

Eindeutig Liebe - Roman

Titel: Eindeutig Liebe - Roman
Autoren: Jessica Thompson
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Zähne zusammen, damit ich nicht hier und jetzt die Beherrschung verlor. Das Einzige, was ich wollte, war, zu ihr zu laufen und ihre Hand zu halten, während sie sprach. Mich um sie zu kümmern. Es war schwierig, sitzen zu bleiben und sie nur anzusehen, aber es musste sein.
    »Ich hatte solch ein Glück, meinen Vater für die Zeit zu kennen, die uns vergönnt war, und ich würde nichts anders machen. Er hatte mich lieb, was immer ich tat, ob es gut war oder schlecht. Seine Liebe war bedingungslos«, erzählte sie und biss sich auf die Lippe. Sie wirkte verletzlich, obwohl sie so stark dastand. »Nicht viele Menschen können von sich behaupten, sie wären bedingungslos geliebt worden.« Ganz kurz nahm sie Blickkontakt zu mir auf, ehe sie fortfuhr. »Das Leben war hart für uns, aber ich würde jederzeit wieder alles für ihn tun. Alles. Obwohl es mich schmerzt, dass er fort ist, kann ich nicht anders, als mich für eine sehr glückliche junge Frau zu halten.«
    Als sie das sagte, bemerkte ich den Sonnenschein, der durch das Buntglasfenster fiel. Er tauchte sie in strahlendes Licht. Nur sie. Sonst niemanden.
    Sie schaute zur Decke hinauf, als wäre er dort und redete mit ihr. »Danke, Dad«, sagte sie.
    Elouise entzog mir ihre Hand und versteckte sich hinter der Rückenlehne der Bank, um ihre Trauer zu verbergen.
    »Mein Vater ist seit vielen Jahren nicht mehr vor die Tür gekommen, hat die wirkliche Welt nicht mehr gesehen – nicht richtig jedenfalls –, und trotzdem hat er mehr über sie gewusst als wir.« Sie deutete auf den blumengeschmückten Sarg. »Dieser Mann dort schrieb über das Weltall, über Marathonläufe, über irgendwelche afrikanischen Stämme, über Kornkreise, ganz egal was … Er lernte, indem er sich mit den Erlebnissen und Überzeugungen anderer Menschen befasste und dann beschrieb, wie er diese Dinge gern erlebt hätte. Und ich kann nicht anders, als mich zu fragen, wie viele von uns jeden Tag einen Blick über die Wände ihrer Büros hinaus wagen.«
    Sie ging langsam zu seinem Sarg. »Mein Vater war für mich ein Held. Nicht, weil er Marathonläufer gewesen wäre, nicht, weil er die ganze Welt bereist hätte, sondern weil er in der Lage war, sich das alles vorzustellen. Er war niemals verbittert, neidisch oder selbstsüchtig. Er hatte keine Angst, etwas über eine Welt zu erfahren, die für ihn niemals in Reichweite war.« Sie legte die Hand auf seinen Sarg und fuhr damit über das glatte lackierte Holz.
    »Er hatte immer ein offenes Ohr für mich. Sogar wenn er schlief. Irgendwie haben wir es durchgestanden, Dad und ich. Ich werde ihn für den Rest meines Lebens vermissen, aber ich werde auch immer dankbar dafür sein, dass ich ihn kennen durfte, ihn lieben durfte. Ich werde ihn immer lieb haben … immer.«
    Eine Träne kullerte über ihre Wange und landete auf dem Holz. Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und wischte weitere Tränen weg, die der ersten folgten.
    »Wenn ihr mich jetzt fragt, ob ich traurig bin, sage ich euch: ›Ja, ich bin trauriger als jemals zuvor in meinem Leben.‹ Und wenn ihr mich fragt, ob ich wütend bin, dann sage ich euch: ›Ganz bestimmt, denn mir ist, als wäre er mir geraubt worden.‹ Doch viel wichtiger ist, dass ich auch froh bin. Ich bin froh, dass ich das Glück hatte, ihn meinen Vater und meinen Freund nennen zu dürfen. Ich bin froh, dass das den ganzen Kampf wert war, die Angst und den Schmerz, denn ohne all diese Dinge kann man nie aufrichtig sagen, dass man das Beste im Leben kennengelernt hat.«
    Es schnürte mir die Kehle zu. Ich war so überwältigt, dass ich nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte. Also begann ich, mit einem Papiertaschentuch zu spielen; lautlos riss ich Streifen heraus und rollte sie zwischen den Fingern zu kleinen Kugeln. Meine Bauchmuskeln spannten sich heftig an, während ich darum kämpfte, nicht die Beherrschung zu verlieren.
    Sienna wandte sich Georges Sarg zu und legte beide Hände auf den Deckel. »Ich habe dich lieb, Dad …« Sie hatte sich so lange zusammengerissen, doch jetzt liefen die Tränen in Strömen. Sie flossen aus ihren Augen und in ein Taschentuch, dass sie dagegenpresste. Ich wand mich innerlich, denn ich wollte bei ihr sein, doch ich musste hier sitzen bleiben; Sienna musste da allein durch.
    Wieder herrschte absolute Stille, unterbrochen nur von vereinzeltem Schluchzen und Schniefen. Sienna drehte uns den Rücken zu und nahm Abschied von ihrem Vater. Sie weinte still und bebte dabei
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