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Eindeutig Liebe - Roman

Eindeutig Liebe - Roman

Titel: Eindeutig Liebe - Roman
Autoren: Jessica Thompson
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angerührt. Ich hatte bisher immer das Gefühl gehabt, dass es nicht richtig war, sie wegzuräumen. Als Elouise, Nick und ich Dads Habseligkeiten durchgegangen waren, hatte ich mir ausgebeten, dass die Notizbücher dort blieben, wo er sie abgelegt hatte.
    Nun sah ich sie überall herumliegen, dicke Bücher mit dicken schwarzen Deckeln, auf denen weiße Etiketten klebten und die alle mit einem Datum versehen waren. Sie lagen ordentlich gestapelt auf den Bücherregalen und auch auf dem Fernseher, die meisten aber befanden sich in Kartons unter seinem Bett. Eine Weile saß ich da und fragte mich, wie es wohl wäre, sie zu lesen. Wäre es noch zu früh? Würde ich damit die Angst und den Schmerz neu entfachen, oder wäre es eher so, als hätte ich ihn wieder bei mir?
    Schließlich hielt ich den Film an und dachte nach, trank einen Schluck Wein nach dem anderen und fragte mich, was ich tun sollte. Dann nahm ich das erstbeste Notizbuch in die Hand und fuhr mit den Fingern über die glatte, kühle Oberfläche. Ein Blitz zuckte über den Himmel, und ich wickelte mich in eine leichte Decke. Ein Gewitter zieht auf, dachte ich und mir fiel ein, wie schwül es den ganzen Tag über gewesen war. Ich fürchtete mich nicht davor. Nicht im Geringsten.
    Ich hielt das Buch hoch, schob die Finger zwischen die Seiten und befühlte sie; sie schienen durch Dads Einträge dicker geworden zu sein. Er hatte immer so stark aufgedrückt, dass die Wörter regelrecht ins Papier geprägt worden waren. Ob es ihn stören würde?, fragte ich mich. Dann öffnete ich das Buch in der Mitte und wurde von Dads vertrauter Handschrift begrüßt, die ich von all den Klebezetteln am Kühlschrank kannte. Mit ihnen hatte er mich immer an die Dinge erinnert, die eingekauft werden mussten: Erdnussbutter, Sonnenblumenöl, Seife …
    Mein Blick glitt die Buchstaben entlang – zu scheu, um etwas zu lesen, aber gleichzeitig zu neugierig, um woandershin zu gucken. Noch mehr Blitze zuckten über den Sommerhimmel. Sie tauchten das Zimmer für den Bruchteil einer Sekunde in strahlendes Weiß, dann wurde ich wieder zurückgeworfen in das warme Licht der Kerzen, die vor mir auf dem Tisch standen. Regen trommelte gegen die Fensterscheiben. Was würde ich entdecken? Würde ich herausfinden, dass er zutiefst unglücklich gewesen war, es aber vor mir verborgen hatte? Hatte er je gedacht, dass ich ihn vernachlässigte? Ihn im Stich ließ? Mit laut pochendem Herzen begann ich zu lesen.
    Dreiundzwanzig Meilen, und zu sagen, dass es wehtut, wäre eine Untertreibung. An den Straßenrändern sammeln sich die Menschenmassen; sie rufen und brüllen. Ich höre viele Namen; niemand ruft meinen. Doch in meinem Kopf höre ich, wie meine Tochter mich anfeuert, und das ist das Einzige, was mich die letzten drei Meilen bis zur Ziellinie durchhalten lässt. Die ganze Zeit über sehe ich ihr Gesicht vor mir. Meine schöne Tochter. Ich weiß, am Ziel wartet sie auf mich. Sie würde mich niemals enttäuschen, das weiß ich einfach.
    Meine Beine fühlen sich an wie rohes Fleisch, und unter meiner verschwitzten Haut beginnen meine Muskeln zu zucken. Es ist eine Art Vibration, die sich durch meine Waden und Oberschenkel fortsetzt. Tausende von Schritten verschmelzen zu einer einzigen großen Anstrengung. Um ehrlich zu sein, es fühlt sich an wie ein merkwürdiger Traum. Kurz steigt Panik in mir auf, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich es bis zum Ende schaffen werde oder nicht. Doch ich kann sie nicht enttäuschen. Vom Straßenrand aus schießt jemand mit einer Wasserpistole über die Läufer hinweg, und einige Tröpfchen landen in meinem Gesicht. Das Wasser ist so wunderbar kühl, dass ich am liebsten zur Wasserstation eilen möchte, um ein ganzes Glas über mir auszugießen; ich möchte spüren, wie es in meinen Mund läuft und meine Kehle hinunter. Doch keine noch so große Menge Wasser könnte meinen Durst jetzt löschen – es ist, als wäre ich ausgewrungen worden wie ein feuchtes Handtuch. Ich schwitze so sehr, dass mir der Schweiß in die Augen läuft. Er brennt. Es schmerzt. Alles schmerzt. Ich muss auf die Toilette, aber anzuhalten wäre das Ende. Meine Muskeln würden sofort verkrampfen, vertrocknen und so fest werden wie Beton. Ich muss weiterlaufen.
    Die anderen Läufer kämpfen nun wirklich. Ihr Atem geht schwer, sie stöhnen und ächzen wie eine Meute Zombies in teurer Sportkleidung. Ich muss weiterlaufen.
    Sie fallen um wie die Fliegen von den Wänden, brechen auf dem Asphalt
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