Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl
Autoren: Christiane Schlueter
Vom Netzwerk:
als im vormodernen, viktorianischen Zeitalter, als noch andere Menschen nach anderen Kriterien für sie die Entscheidungen trafen.
    So weit ging es bis in die 1930er Jahre. Dann macht Illouz einen Sprung in die 1990er Jahre bis heute. Da nämlich, so stellt sie fest, haben sich die Waren verändert, die Liebe ausdrücken sollen. Heute wird die romantische Liebe weniger in besonderen und luxuriösen Besitztümern symbolisiert, sondern mehr in Erlebnissen, bei denen die Beteiligten sich ihrer Unverwechselbarkeit und der Echtheit ihrer Gefühle vergewissern. An die Stelle teurer Gegenstände sind Reisen und Naturerlebnisse getreten – eben alles, was einen Sonderraum der Intimität und Einzigartigkeit in Abgrenzung zur Massengesellschaft und eine Auszeit vom Alltag verspricht. Denn der Alltag, gekennzeichnet von Pflichten und Gleichförmigkeit, wird als Gegenteil der romantischen Liebe und somit als deren Totengräber angesehen.
    Liebe, tiefe Gefühle und das Besondere gehen also zusammen, und auf der anderen Seite stehen der Alltag und das Ewiggleiche. Die romantischen Inszenierungen, mit denen man aus dem Alltag flüchtet, haben mittlerweile die Bedeutung von Ritualen bekommen – Rituale, die durch Konsum ermöglicht werden. Der aber ist seinerseits natürlich nur um den Preis möglich, dass man im Alltag lebt und das für die Rituale notwendige Geld verdient …
    Genau die Zweiteilung zwischen romantischen Erlebnissen und Alltagsleben führt nun aber zu einer merkwürdigen Spaltung im heutigen Liebesverständnis. Das entdeckte Eva Illouz, als ihr auffiel, dass ihre Interviewpartner in zweierlei Arten von der Liebe sprachen. Geschichten, die von intensiven Flirts und kurzzeitigen, erregenden Erlebnissen handelten, wurden als romantisch empfunden und gleichzeitig als unrealistisch, als nicht lebbar. Geschichten hingegen, die von einer langsam wachsenden und andauernden Bindung erzählten, wurden zwar inhaltlich als realistische Wiedergabe der Liebe gewertet. Auf der formalen Ebene vermissten die Interviewpartner hier aber alle Kennzeichen von Romantik.
    Es stellt sich die Frage: Wo ist denn nun die romantische Liebe wirklich? In den kurzen, erregenden, »unrealistischen«, als romantisch empfundenen Ereignissen oder in den lang andauernden, behaglichen, »realistischen« Geschichten, die von dauerhafter Liebe erzählen? Es scheint, als hätten Romantik und Liebe sich voneinander getrennt. Heutige Liebende wissen um diese Diskrepanz – ja mehr noch: Sie distanzieren sich selbst ironisch von den romantischen Ereignissen nach dem Motto »Ich weiß, dass ich hier Hollywood-Klischees wiederhole.« Mit diesem Misstrauen gegenüber dem eigenen, von den Massenmedien geprägten Selbstverständnis erweisen sie sich sogar als ganz typische Kinder der Postmoderne. Von der »realistischen Liebe« hingegen sprechen sie häufig in einer therapeutisch angehauchten Sprache, wie der gern gebrauchte Begriff »Beziehungsarbeit« schon zeigt.
    Ironie einerseits und therapeutische Haltung andererseits: beides zeugt von einer tiefgreifenden Verunsicherung in Liebesdingen. Wir trauen uns selbst nicht mehr. Wir misstrauen dem Wunsch nach Erregung, der sich immer wieder meldet, und ebenso der Behaglichkeit, wenn wir sie uns denn geschaffen haben. Diese doppelte Verunsicherung ist aber nach Illouz nur die negative Kehrseite eines Gewinns, den es auch zu sehen gilt. Auf der Habenseite erfreuen wir uns dafür nämlich »einer ausgeprägteren Selbsterkenntnis, einer größeren Fähigkeit, im Bereich der Liebe Freiheit und Autonomie walten zu lassen, und eines stärkeren Bewusstseins für die existenzielle Schwierigkeit, einen anderen Menschen zu lieben«. Wir wissen mehr über uns selbst, wir haben uns einen größeren Handlungsspielraum erobert, und wir sind nicht mehr blauäugig, was die Versprechen der Liebe betrifft. Das ist alles in allem nicht wenig!
    Ebenso gelassen sieht Illouz auf unsere heutige Art und Weise, Liebe auszudrücken: Sie sei nun mal »die kommerzialisierte Sprache der individuellen Selbstverwirklichung«. Im Moment »ist es die einzige, die wir gut genug verstehen, um unsere Beziehungen einem Projekt der Autonomie, der Gleichberechtigung und der emotionalen Erfüllung zu öffnen.« Und deshalb sollten wir, auch wenn wir ihre Defizite erkennen, nicht zu sehr an der Gestalt zweifeln, die wir unseren Gefühlen geben. Mit anderen Worten: Unsere Liebe ist nicht weniger wert, nur weil wir sie mit den Mitteln des Konsums
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher