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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl
Autoren: Christiane Schlueter
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psychischer Gesundung. Er sah die Psyche des Einzelnen immer schon durch die sozioökonomischen Verhältnisse und die durch diese diktierten Normen sowie die daraus resultierenden Störungen geprägt. »Gesellschaftscharakter« nannte Fromm diese verinnerlichte Prägung. Deren Inhalte unterschied er danach, ob sie fördernd oder hemmend sind, ob sie dem Einzelnen helfen, kreativ seine Grenzen zu erweitern, oder ob sie ihn daran hindern. Sein 1956 erschienenes Buch »Die Kunst des Liebens« kritisiert dementsprechend eine Art des Liebens, bei der man den anderen Menschen marktwirtschaftlich als Ware betrachtet und von der Liebe vor allem erwartet, dass man selbst geliebt werde. Demgegenüber wirbt es dafür, auch unter den gegenwärtigen Bedingungen des Kapitalismus die Spielräume zu nutzen, die es immerhin gebe, um die »Kunst des Liebens« einzuüben. Das aber erfordere vor allem Selbstdisziplin, Konzentration und Geduld, also das Gegenteil einer konsumierenden, narzisstischen und kapitalistisch-berechnenden Haltung.
    Nach Adorno und Fromm wird die Liebe in ungerechten Gesellschaften pervertiert und verschlechtert ihrerseits die Situation des Einzelnen wieder. »Beschädigungstheorie« nannte der Philosoph und Publizist Richard David Precht kürzlich solche Denkrichtungen, die die psychische Deformation des Menschen auf eine deformierte Gesellschaft zurückführen. Precht spielt mit dem Begriff auf den Untertitel der »Minima Moralia« Adornos an, der »Reflexionen aus dem beschädigten Leben« ankündigt. Jean-Jacques Rousseau, der Kritiker der Zivilisation im Namen der Natürlichkeit, gilt Precht als Vater aller Beschädigungstheorien. Deren Vertretern wirft der Publizist vor, das »falsche Leben« zwar diagnostiziert und das Besitzdenken kritisiert, sich persönlich aber doch ganz gut darin eingerichtet zu haben. Fromms wertende Gegenüberstellung von Haben (schlecht) und Sein (gut) sei eine »Luxusidee für Wohlstandsmenschen«. Da mag durchaus etwas dran sein. Allerdings ist heute, ein knappes halbes Jahrhundert und mehrere Wirtschaftskrisen später, Fromms Verdacht nach wie vor nicht widerlegt, dass Produktion und Konsumtion auf Dauer nicht das höchste Ziel einer Gesellschaft sein können. Nur die ideologisch etwas überfrachtete Einbeziehung der Liebe in solche Überlegungen ist in Zeiten der Globalisierung vielleicht wirklich überflüssig geworden.
    Eine neue und viel pragmatischere Verhältnisbestimmung von Liebe und Gesellschaft hat denn auch vor einigen Jahren der Sozialphilosoph Axel Honneth unternommen. Der heutige Leiter des berühmten Frankfurter Instituts für Sozialforschung repräsentiert die dritte Generation der Kritischen Theorie. Ähnlich wie sein einstiger Lehrer Jürgen Habermas forscht Honneth unter anderem zur Moralität von Beziehungen zwischen Personen. Dabei nimmt er auch die Liebe in den Blick. »Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte« heißt die Schrift, mit der er sich 1990 habilitierte. Im Begriff der Anerkennung, den er beim jungen Hegel fand, erkannte Honneth den Schlüssel, um die gegenwärtige Gesellschaft kritisch zu analysieren. Wechselseitige Anerkennung ist für ihn das, was Menschen einander geben müssen, wenn sie sich gegenseitig als gleichberechtigte und bis zu einem gewissen Grad autonome Mitglieder der Gesellschaft behandeln wollen.
    Die Anerkennung wird nach Honneth in drei unterschiedlichen Ausdrucksformen gegeben: als Recht, als Solidarität und als Liebe. Jemandem Recht zuzuerkennen bedeutet, ihm dieselben Handlungsmöglichkeiten – und damit letztlich dieselbe moralische Kompetenz – zuzuerkennen wie sich selbst. In solidarischen Beziehungen wird anerkannt und gewürdigt, dass alle Beteiligten ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten. Und in Liebesbeziehungen wird, durch die emotionale Zuwendung, überhaupt erst die Grundlage dafür gelegt, dass ein Mensch sich selbst vertraut und damit in Bezug auf die Gesellschaft handlungsfähig wird.
    Alle drei Formen der Anerkennung sind notwendig, sagt Honneth. Damit jemand sozial integriert ist, reicht es eben nicht, ihn de jure als »gleichberechtigt« anzuerkennen. Er muss auch, im Sinne der Solidarität, als wertvolles Mitglied der Gesellschaft gewürdigt werden, das seinen Beitrag zu dieser leistet. Geht es beim Recht darum, dass alle gleich sind, so geht es bei der Solidarität, der zweiten Form der Anerkennung, um das Besondere, das jemand mitbringt, um seine Fähigkeiten und auch sein
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