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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl
Autoren: Christiane Schlueter
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Liebesehe leisten, die ja ebenfalls eine Erfindung der Romantik ist. Man könnte sagen: Das Paradox wird immer extremer.
    Heute scheint daraus tatsächlich ein Problem geworden zu sein: »Die Form des Codes scheint sich vom Ideal über das Paradox zum Problem hin gewandelt zu haben, und das Problem wäre dann ganz einfach: einen Partner für eine Intimbeziehung finden und binden zu können.« Wie sieht der Liebescode aus, der das heute ermöglichen soll? Luhmann sieht ihn vor allem durch eine Hochbewertung der Spontaneität gekennzeichnet. »Die Liebe darf sich nicht erst auf Nachfrage zu erkennen geben, sie muss allen Bitten und Fragen zuvorkommen, um nicht als Pflicht oder Konzilianz zu erscheinen.« Damit zusammenhängend wird die Aufrichtigkeit wieder stärker betont, allerdings nicht als Gegensatz zur verführenden Lüge, sondern im Sinne von Authentizität: Indem wir jemanden lieben, müssen wir zugleich umso mehr wir selbst sein. Das aber wird in dem Moment eine unerfüllbare Aufgabe, wo wir ständig darauf achten. Der Befehl, den wir selbst uns in Liebesdingen geben, lautet: Sei du selbst, sei aufrichtig spontan! Aber Spontaneität lässt sich nicht herbeibefehlen, und Aufrichtigkeit ist nicht kommunizierbar – sobald sie explizit betont wird, entstehen Zweifel an ihr.
    In einem Interview anlässlich seines Buches »Liebe als Passion« beschrieb Luhmann eine moderne Liebesbeziehung unter diesen Bedingungen als ständige Beobachtung zweiter Ordnung: dass man die Wünsche des Partners erfüllt in dem Bewusstsein, dass er sieht, dass man sie erfüllt, weil er es möchte. Beim gemeinsamen Autofahren zeige sich das sehr deutlich: Wenn ein Paar im Auto sitzt, beobachten beide einander sehr genau daraufhin, ob der andere die jeweiligen Wünsche des Partners mitberücksichtigt – ob er also, kurz gesagt, nicht seine eigene Welt, sondern die des Partners zugrunde legt. »Die Ehen werden im Himmel geschlossen, im Auto gehen sie auseinander. Denn derjenige, der am Steuer sitzt, richtet sich nach der Situation und fährt, wie er meint, auf Grund seines besten Könnens; aber der, der mitfährt und ihn beobachtet, fühlt sich durch die Fahrweise behandelt.«
    Der Teufelskreis aus Kränkungserwartungen und Zweifeln, der sich hier auftut, lässt sich nach Luhmann nur durchbrechen, indem man sich für die »Unschärfe« entscheidet. Also dafür, nicht ständig nachzubohren und nicht ständig genau wissen zu wollen, was der andere wirklich über einen denkt. Entlastet euch davon, zu beobachten, dass ihr beobachtet werdet, rät Luhmann heutigen Paaren. Im Alltag sind dafür Verständigungsroutinen hilfreich, die das Handeln leiten – etwa bezüglich Kindererziehung, Gästeeinladung, Fernsehprogramm. Diese Verständigungsroutinen verdecken das beschriebene Problem des Sich- und einander Beobachtens. Dadurch wirken sie entlastend.
    Macht kein Problem aus der Liebe und denkt nicht zu sehr darüber nach, wie ihr sie dem anderen und euch selbst beweisen könnt, so ließe sich diese Botschaft zusammenfassen. Angefügt sei noch, dass nach Luhmann eine Kommunikation (und damit ein soziales System) zum Ende kommt, sobald ein Konsens erreicht ist, und dass deshalb das Missverständnis (das ja gar nicht als solches wahrgenommen wird) sogar eine Vorbedingung dafür ist, dass das betreffende soziale System weiterbesteht. Hören wir also auf, nach Missverständnissen zu suchen! Sie sind ohnehin da – und sogar notwendig, damit es weitergeht.

Wie viel ist die Liebe wert?
    M it dem Spontaneitätsgebot in der Liebe hatte sich Jahrzehnte vor Niklas Luhmann schon ein anderer Sozialphilosoph kritisch befasst: Theodor W. Adorno. Gemeinsam mit seinem Kollegen Max Horkheimer repräsentierte er die bekannte Frankfurter Schule, die seit den 1920er Jahren am Frankfurter Institut für Sozialforschung interdisziplinär nach den Grundlagen für eine gerechtere Gesellschaft forschte. Zu diesem Zweck verbanden die Wissenschaftler den Marxismus mit der Freudschen Psychoanalyse und anderen Fachrichtungen wie etwa der Soziologie.
    Die Vertreter der sogenannten Kritischen Theorie untersuchten, auf welche Weise gesellschaftliche und ideologische Vorgaben die Bildung von Theorien beeinflussen, getreu dem Satz von Karl Marx, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt. Ihre These: Unsoziale Verhältnisse und Herrschaftsstrukturen bewirken die Entwicklung von Theorien, die solche ungerechten Verhältnisse festigen, statt sie im Sinne der Freiheit zu
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