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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl
Autoren: Christiane Schlueter
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Verdienst.
    Diese beiden Formen der Anerkennung sind nun im öffentlichen Bereich angesiedelt. Anders die Liebe: Sie existiert im Privaten, ihre Reichweite ist deshalb begrenzt. Aber indem sie ein Individuum überhaupt erst handlungsfähig macht, ist sie gesellschaftlich unverzichtbar – obgleich sie nicht eingefordert werden kann.
    Honneths Verhältnisbestimmung von Liebe und Gesellschaft mutet angenehm nüchtern und unideologisch an. Ihre Wahrheit kann jeder an sich selbst und seinen Nächsten überprüfen. Es ist ja wirklich so, dass wir umso handlungs- und leistungsfähiger sind, je mehr wir uns geliebt wissen. Das gilt nicht nur für Kinder in Bezug auf die Elternliebe oder für die Zuneigung unter Freunden. Auch erwachsene Partner sagen häufig übereinander, wie sehr sie sich in ihren verschiedenen Lebensbereichen durch die Liebe des anderen unterstützt fühlen. So lässt sich das als gutes Kriterium für eine gelingende Beziehung festhalten: dass unsere Liebe uns – außer in Ausnahmesituationen und bei besonderen Belastungen – vor allem Kraft geben sollte. Ständigen Selbstzerfleischungen zum Beispiel (Luhmann würde sagen: Beobachtungen zweiter Ordnung) wäre damit eine Absage erteilt, mit dem allerhöchsten Segen der Philosophie!

»Mit uns ist es anders«
    R omantik ist diese Art von Scheißrestaurant in der Park Avenue, Wein und Rosen und Blumen.« Die Antwort bekam die israelische Soziologin Eva Illouz von einem gutsituierten und gebildeten Interviewpartner, als sie vor ein paar Jahren in einer großen Studie fragte, was aus der romantischen Liebe unter den Bedingungen der kapitalistischen, globalisierten Welt geworden sei. Bei ihrer Studie bezog sich Illouz nicht auf die Romantik als ideengeschichtliche Epoche, sondern auf den allgemeinen Begriff »romantisch« im Sinne von Utopie, Freiheit und Einzigartigkeit.
    Die Soziologin untersuchte nicht, wie die als romantisch verstandene Liebe heute sein soll, sondern wie sie ist. Das tat sie mit Hilfe von Fragebogen, Interviews, Statistiken und deren Deutung. Sie ging davon aus, dass sich darin, wie die romantische Liebe heute gestaltet wird, die Realität unserer Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen und Ungleichheiten zeige. Über die – und über das Erscheinungsbild der romantischen Liebe – wollte sie mehr wissen.
    Wer verstehen will, was Eva Illouz herausfand, der muss an die Orte gehen, die frisch Verliebte heute aufsuchen, um Romantik zu erleben: die Szenecafés und Nobelrestaurants, die idyllisch gelegenen Hotels, die Kinos und die einsamen Strände. Denn dort wird die Liebe inszeniert, und zwar mit Hilfe des Konsums – des Konsums von Waren und von Erlebnissen. In den Worten der Beteiligten klingt das dann, je nach Geldbeutel und kritisch-ironischer Distanz, entweder schwärmerisch oder auch mal so wie in dem eingangs zu lesenden Ausspruch. Und stets behalten die obere Mittel- und die Oberschicht die Deutungshoheit über das, was als romantisch zu gelten habe.
    Eva Illouz’ Untersuchungsergebnisse erschienen als Buch 2002 im hebräischen Original und 2003 unter dem Titel »Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus«. Die Forscherin schildert darin zunächst eine Entwicklung, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts begann. Damals wurden Intimbeziehungen zunehmend nicht mehr im familiären, privaten Kreis geknüpft, sondern an öffentlichen Orten: in Kinos, Tanzlokalen, Restaurants und im Auto. Die Benutzung dieser Orte wurde gefördert durch steigende Einkommen und sinkende Arbeitszeiten, und sie war an die Verwendung von Waren gebunden: den Kauf der Kinokarte, das Bestellen des Essens, die Anschaffung von modischer Kleidung, von Kosmetik und so weiter. Waren und Liebe, Konsum und Romantik gingen eine Verbindung ein. Man kann sagen: Der Konsum wurde romantisiert und die Romantik versachlicht im Sinne von »an Dinge gebunden«. Schnell entdeckte denn auch die Werbung die romantische Liebe und deren Glücksversprechen als Argument für ihre Produkte und verstärkte auf diese Weise die Verbindung von Konsum und Romantik weiter.
    Man könnte nun vermuten, dass in der beschriebenen Versachlichung ein Verlust an Freiheit liege. Dem widerspricht Illouz jedoch ganz klar: Gerade den Frauen, so sagt sie, habe die Bindung der Liebe an das warenförmige Denken einen Freiheitsgewinn gebracht: Sie können nun, als Erwerbstätige, Konsumentinnen und Staatsbürgerinnen, auch in Liebesdingen freier wählen
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