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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Autoren: Charles Chadwick
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wissen Sie. Ganz im Gegenteil. Schon besser, wenn einer sich seinen Kummer von der Seele redet, man muß doch aufeinander aufpassen. Aber ihre Erkältung hat sie überwunden, was? Es ist ja nicht so, daß ich das Thema nicht schon mal angeschnitten hätte.«
    »Daran liegt es bestimmt nicht«, sagte ich mit meinem Stirnrunzeln. Ich hätte gern geglaubt, er denke sich das alles aus und wolle nur meine Neugier anstacheln, aber wie gesagt, die Hambles riechen nach Kummer, und es ist der Geruch von Gas. Ich konnte Webb beinahe hören, wie er, dem davonfahrenden Krankenwagen nachblickend, sagt: »Habe ich es Ihnen nicht gesagt? Ich habe Sie doch gewarnt, nicht?«
    Jetzt schüttelte er nur den Kopf und wandte sich als erster ab. Was für eine verdammte Erkältung? fragte ich mich am Ende.
     
    Die Fenster, die zum Haus der Hambles hinausgehen, gehören zu den Zimmern meiner Kinder, deshalb ist es für mich nicht einfach, sie auszuspionieren. Ich habe in den Zimmern meiner Kinder nie etwas zu tun, nicht mehr, seit ich aufgehört habe, ihnen Geschichten vorzulesen, und auch das kam nicht sehr häufig vor. Sie meinten, meine Frau könne das besser, und sie hatten auch recht. Ich habe eine monotone Stimme, mit der ich keinen Unterschied machen kann zwischen Rittern in glänzenden Rüstungen, menschenfressenden Ungeheuern, Prinzessinnen oder Fröschen oder was es sonst noch gibt. Was würde ich sagen, wenn eins meiner
Kinder mich dabei ertappte, wie ich zwischen ihren Vorhängen hindurchspähe? Was würde ich sagen, wonach ich Ausschau halte? Sie würden es meiner Frau erzählen, und sie würde mich vor ihnen fragen: »Was hast du in Virginias/Adrians Zimmer getan? Bin nur neugierig.« Auch wenn ich viel Zeit hätte, mir die Antwort zu überlegen, würde ich mich ertappt fühlen. Beide meiner Kinder haben gute Gründe, in unser Schlafzimmer zu kommen, meine Tochter, um sich das Nähkästchen meiner Frau auszuleihen, damit sie zeigen kann, was für eine nützliche, praktische Person aus ihr wird, mein Sohn, um sich Schere oder Pinzette oder Stecknadeln auszuleihen, die er für irgendein kreatives Projekt braucht, an dem er gerade arbeitet. Sie gehen permanent überall ein und aus auf der Suche nach irgendwas, und auf jeden Fall erledigen sie hier und dort und überall ihren Anteil an der Hausarbeit und entwickeln so ein Pflichtgefühl gegenüber der Familie, in der, sagt meine Frau, das Pflichtgefühl gegenüber der Gesellschaft ihren Anfang nimmt — das meint sie mit dem Satz: Nächstenliebe beginnt in der Familie. Ich helfe nicht bei der Hausarbeit (»Euer Vater trägt auf andere Art mehr als seinen Anteil bei«), ich koche auch nicht (»Euer Vater kann sehr gut Eier kochen«), und deshalb habe ich allem Anschein nach auch dies mit der Gesellschaft gemein — sich für das eigene Wohl auf das Pflichtgefühl anderer zu verlassen. Es wäre deshalb eine Anomalie, falls dies das richtige Wort dafür ist, wenn man mich mit dem Staubsauger oder einem Wischtuch in den Zimmern meiner Kinder antreffen würde. (Ich habe mich nie getraut, sie zu fragen, auf welche andere Art genau ich meinen Anteil beitrage, abgesehen davon, daß ich einen Teil des Gelds nach Hause bringe. »Genug, um damit über die Runden zu kommen«, würden einige sagen. Meine Frau sagt, wir haben mehr als genug. Vielleicht trage ich auch deshalb meinen Anteil bei, weil ich nicht mehr Geld nach Hause bringe. Je weniger Einsätze ich habe, um so besser, um so weniger muß man mir soufflieren.)
     
    Vor einiger Zeit kaufte ich für einen dieser royalen Anlässe einen seidigen, kleinen Union Jack und steckte ihn hinter das Klingelbrett
an der Haustür. Ich sollte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß meine Frau keine Zeit hat für Demonstrationen des Patriotismus, da die Pflicht gegenüber der Gesellschaft und die Pflicht gegenüber dem Vaterland sich auf völlig verschiedenen Wellenlängen befänden, wie sie es formuliert. (Meine Fähigkeiten mit dem moralischen Drehregler haben noch keine großen Fortschritte gemacht, es kommt noch immer zu viel statisches Rauschen.) Es dürfte einer ihrer größten Vorzüge sein, daß sie die Frage nationaler Identität nie in ein Gespräch einbringt, weil sie der Überzeugung ist, daß dies die Kinder von globaleren Problemen ablenken könnte. Ich bin ihr dankbar dafür, auch weil ich in meinem Fall unsicher bin, welche Identität ich hätte, falls ich darüber nachdenken würde, oder wie ich es anstellen sollte, mir eine zu
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