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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Autoren: Charles Chadwick
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zu ihnen sind wegen dem, was ihre Mutter ihnen gesagt hat. So schließt sich der Kreis, und alles ist dann doch ganz in Ordnung. Die Wahrheit ist, es kommt kaum vor, daß ich ihnen ein Lächeln oder ein Stirnrunzeln zeige. Ich zeige eigentlich keinem irgendwas, abgesehen davon, daß ich ab und zu junge Mädchen anlächle, was mir jedoch meistens ein Stirnrunzeln einbringt, außer es handelt sich um Afrikanerinnen oder Asiatinnen.
     
    Ich würde meine Familie sehr vermissen, wenn ich sie verlassen würde, weniger, wenn sie mich verlassen würde. Könnte es sein, daß ein schlechtes Gewissen das Herz liebender macht? Wenn ich sie verlassen würde, könnte meine Frau sicher sein, daß ich es nicht lange aushalten würde. »Er kommt schon wieder«, würde sie meinen Kindern sagen, ohne hinzuzufügen: »Und ihr werdet sehen, wie ihm das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben steht«, und dann weiter einen Artikel über Alleinerziehende lesen, von denen einige ganz gut zurechtkommen. Das wäre dann einer der Gründe für mein schlechtes Gewissen: daß ich nicht genug getan habe, damit sie mich mehr vermissen. Ich bleibe deshalb, wo und wie ich bin — das schlechte Gewissen eingebildet, die Liebe in diesem Ausmaß ebenfalls, leider. Außerdem ist es falsch, Leute im Stich zu lassen, die einen brauchen; das sollte eigentlich der Hauptgrund für das schlechte Gewissen sein, der Schmerz, den man verursacht hat usw. Wobei ich über diesen Aspekt noch gar nicht nachgedacht habe; die tieferen Überlegungen schiebe ich wie immer bis zum Schluß auf, wenn ich mir überhaupt darüber den Kopf zerbreche. Auch das ist ein Grund für das schlechte Gewissen – daß ich nie den weiteren, weniger eigennützigen Blickwinkel wähle. »Du denkst nur an dich selbst« – es würde
mich nicht wundern, wenn es der am häufigsten verwendete Satz wäre. Ach du meine Gute, wenn’s um Schuld und schlechtes Gewissen geht, scheint es kein Ende zu geben. Das Thema erfordert einen langen, immer wieder auf sich selbst zurückkommenden Satz. Die reinste Strafe. So was wie lebenslänglich, wenn man’s genau nimmt.
     
    Es dauerte nicht lange, bis Webb mir sagte, die Hambles hätten Probleme. Erst unlängst machte er »Pst!« durch den Zaun, so daß ich zusammenzuckte und sofort zu ihm lief, damit er es nicht noch einmal machte. Seine dünnen Augenbrauen schossen so weit in die Höhe, als wollten sie sich mit seinem Haaransatz vereinigen, und er deutete mit dem Kinn zum Haus der Hambles.
    »Die haben’s ganz schön schwer, die beiden«, flüsterte er.
    »Ich dachte, wenn man erst mal in Rente ist, wird alles leichter.«
    »Das ist doch genau das Problem, nicht? Bei der Inflation und allem, da sind Rente und Ersparnisse ... pfft!« Letzteres mit Lippenstellung und Gestik, als würde er jemand einen Kuß zuwerfen.
    »Sind Sie sicher ...?«
    Er tippte sich an den Kopf. »Sie wissen, ich weiß, wir alle wissen, wie es heutzutage ist. Erstens, was meinen Sie, wieviel sie von dem Haus noch abbezahlen müssen?«
    »Keine Ahnung. Aber ich bin mir sicher, sie kommen schon zurecht«, sagte ich etwas holperig.
    Aber ich glaubte es nicht. Die beiden haben etwas an sich, das nach Pech im Leben riecht. Sie haben nicht einmal einen Fernseher. Ich habe in ihrem Haus zur selben Zeit niemals mehr als ein Licht brennen sehen. Und ich befürchte, im Winter versuchen sie, ohne Heizung auszukommen. Abends gehen sie nie aus. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie ihre Zeit verbringen, wenn sie nicht im Garten sind. Ich stelle mir vor, daß sie in Decken eingewickelt dasitzen, Radio hören und darauf warten, daß etwas passiert, zum Beispiel, daß sie ein für allemal herausfinden, wer von ihnen beiden zuerst stirbt.
    »Sie hat es mir erzählt.«

    »Ach so? Und was hat sie genau gesagt?«
    »Na ja, er war gerade nicht im Zimmer, und da hat sie gesagt (hier versuchte sich Webb am Dialekt einer Klasse, zu der er nicht gehört, so daß er klang wie etwa der Herzog von Edinburgh, der versucht, jemanden wie Stanley Holloway nachzumachen): ›Früer hatter ja so gern mal’n bißchen gepichelt un’ gezockt, aber dassis’etzt vorbei und aledigt, fürchtich.‹ Sie meinte, sie weiß einfach nicht mehr, wie’s weitergehen soll. Ich mußte nicht lange nachbohren. Sie ist gleich damit rausgerückt. Hätte ihr fast einen Zehner zugesteckt. Sie hat sich eine Träne aus dem Augenwinkel gewischt und so getan, als wär’s irgendein Fremdkörper. Aber ich bin ja nicht blind,
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