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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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unangemessene Bewertung der Schwere der Tat, herrührend aus einem religiösen Wahn, was ihn zum Geständnis treibt; Egomanie, die ein Gefühl des Erschreckens oder der Sündigkeit hervorruft und ihn zu kopfloser Flucht veranlaßt, ohne seine Spuren zu verwischen; leichtfertige Vertrauensseligkeit, die dazu führt, daß er die gewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln außer acht läßt, wie im Falle Henry Wainwright, der die sterblichen Reste der ermordeten Frau in der Obhut eines Jungen zurückließ, während er ein Taxi rufen ging; oder nervöses Mißtrauen gegenüber Wahrnehmungen der Vergangenheit, das ihn veranlaßt, an den Tatort zurückzukehren und sich zu vergewissern, daß alle Spuren wirklich so gründlich beseitigt sind,  wie er aus eigener Anschauung noch ganz genau weiß.  Ich stehe nicht an, zu behaupten, daß ein geistig völlig normaler Mensch, den weder religiöse noch andere Wahnvorstellungen ängstigen, sich jederzeit seiner Entdeckung entziehen könnte, vorausgesetzt natürlich, er hat das Verbrechen vorher genügend bedacht, stand nicht unter Zeitdruck, und seine Berechnungen wurden nicht von puren Zufällen durchkreuzt.«
    Sie wissen so gut wie ich, wie weitgehend ich diese Behauptung in die Praxis umgesetzt habe. Die beiden Zufälle, die mich zu Fall brachten, hätte ich unmöglich vorhersehen können. Der erste war, daß Levy von diesem Mädchen in der Battersea Park Road erkannt worden war, was erstmals den Gedanken an einen etwaigen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen aufkommen ließ. Der zweite Zufall war, daß Thipps am Dienstagmorgen nach Denver fahren wollte, wodurch Ihre Mutter Gelegenheit bekam. Sie von dem Vorfall zu benachrichtigen, bevor die Leiche von der Polizei abgeholt wurde, und daß sie in Kenntnis meiner persönlichen Vergangenheit mit einem Motiv für den Mord aufwarten konnte. Wenn ich diese beiden zufällig geschmiedeten Glieder der Verbindungskette hätte zerschlagen können, möchte ich behaupten, daß Sie nicht einmal einen Verdacht gegen mich gefaßt hätten, viel weniger die Beweise hätten sammeln können, um mich zu überführen.
    Von allen menschlichen Regungen, außer vielleicht solchen wie Hunger oder Angst, ruft die Sexualität die heftigsten, unter gewissen Umständen auch die hartnäckigsten Reaktionen hervor; ich glaube jedoch mit Recht sagen zu können, daß zu der Zeit, als ich mein Buch schrieb, mein erster triebhafter Drang, Sir Reuben Levy zu töten, bereits durch meine Denkgewohnheiten grundlegend abgewandelt worden war. Zu der animalischen Lust, ihn zu töten, und dem primitiven menschlichen Verlangen nach Rache war die rationale Absicht gekommen, meine eigene Theorie vor mir selbst und der Welt zu bestätigen. Wenn alles so abgelaufen wäre, wie es von mir geplant war, hätte ich eine versiegelte Schilderung meines Experiments bei der Bank von England hinterlegt und meine Testamentsvollstrecker angewiesen, sie nach meinem Tode zu veröffentlichen. Nun, da der Zufall die Vollständigkeit meiner Demonstration verhindert hat, vertraue ich sie Ihren Händen an, denn sie wird Sie auf jeden Fall interessieren, und ich knüpfe daran die Bitte, sie eingedenk meines beruflichen Ansehens den Männern der Wissenschaft zugänglich zu machen.
    Die wirklich entscheidenden Erfolgsfaktoren bei jeder Unternehmung sind Geld und Gelegenheit, und in aller Regel kann, wer ersteres hat, die letztere herbeiführen. Am Anfang meiner Karriere hatte ich, obschon ich einigermaßen wohlhabend war, nicht die völlige Gewalt über meine Lebensumstände. Folglich widmete ich mich ganz meinem Beruf und begnügte mich damit, eine freundschaftliche Verbindung mit Reuben Levy und seiner Familie aufrechtzuerhalten. Das machte es mir möglich, mich über seine Lebensumstände und Interessen auf dem laufenden zu halten, so daß ich, wenn der Augenblick zum Handeln käme, wissen würde, welche Waffen ich benutzten müßte. Inzwischen trieb ich ein sorgfältiges Studium der Kriminologie in Literatur und Wirklichkeit - meine Arbeit über  Kriminelle Geistesgestörtheit  ist ein Nebenprodukt dieser Tätigkeit - und sah, daß bei jedem Mord der eigentliche Kern des Problems darin besteht, die Leiche zu beseitigen. Als Arzt hatte ich die Werkzeuge des Todes jederzeit zur Hand, und diesbezüglich erwartete ich keine Fehler zu machen. Auch würde ich mich wohl nicht aufgrund irgendeines illusionären Unrechtsbewußtseins verraten. Die einzige Schwierigkeit würde darin bestehen, jede
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