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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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Verbindung zwischen meiner Person und der des Toten auszuräumen. Sie werden sich erinnern, daß Michael Finsbury in Stevensons unterhaltsamem Roman einmal bemerkt: »Was die Leute an den Galgen bringt, ist der unglückliche Umstand ihrer Schuld.« Mir wurde klar, daß das bloße Vorhandensein einer überzähligen Leiche niemanden an den Galgen bringen würde, sofern niemand  in Verbindung mit ebendieser Leiche  eine Schuld auf sich geladen hatte. Das brachte mich schon früh auf die Idee, die eine Leiche gegen eine andere zu vertauschen, obwohl ich erst, nachdem ich die praktische Leitung des St. Luke's-Krankenhauses anvertraut bekommen hatte, mit Leichen vollkommen frei schalten und walten konnte. Von da an sah ich mir alles Material, das uns zum Sezieren angeliefert wurde, genau an.
    Die Gelegenheit bot sich mir erst eine Woche vor Sir Reubens Verschwinden, als der Arzt des Armenhauses von Chelsea mich benachrichtigte, daß ein unbekannter Landstreicher an diesem Morgen durch ein heruntergestürztes Gerüstteil schwer verletzt worden sei und einige hochinteressante Reaktionen des Nerven- und Zentralnervensystems aufweise. Ich fuhr hin, um ihn mir anzusehen, und war sogleich überrascht von der starken oberflächlichen Ähnlichkeit dieses Mannes mit Sir Reuben. Er hatte einen harten Schlag ins Genick bekommen, der den vierten und fünften Nackenwirbel luxierte und das Rückenmark schwer verletzte. Es erschien höchst unwahrscheinlich, daß er je wieder genesen würde, geistig wie körperlich, und ich hielt es ohnehin für sinnlos, ein so unnützes Leben auch noch auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Der Mann war augenscheinlich bis vor kurzem in der Lage gewesen, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, denn er war einigermaßen wohlgenährt, aber der Zustand seiner Füße und Kleidung zeigte, daß er arbeitslos war, und unter den herrschenden Umständen würde er dies auch bleiben. Ich fand also, daß er für meine Zwecke bestens geeignet war, und nahm sofort eine Serie von Transaktionen in der City in Angriff, die ich schon lange vorher geplant hatte. Im übrigen waren die Reaktionen, von denen der Armenhausarzt gesprochen hatte, - wirklich sehr interessant, und ich studierte sie genau und traf alle Vorkehrungen dafür, daß die Leiche an das Krankenhaus geliefert würde, sowie meine Vorbereitungen abgeschlossen wären.
    Am Donnerstag und Freitag dieser Woche gab ich ein paar Maklern den vertraulichen Auftrag, Aktien von bestimmten peruanischen Ölfeldern zu kaufen, die fast nur noch den Wert von Altpapier hatten. Dieser Teil meines Experiments kostete mich nicht viel, aber ich konnte beträchtliche Neugier damit wecken, sogar eine gewisse Hektik erzeugen. Zu diesem Zeitpunkt achtete ich natürlich sorgsam darauf, daß mein Name nicht laut wurde. Daß der Samstag und Sonntag dazwischenkamen, bereitete mir große Sorgen, denn am Ende konnte mein Mann doch noch sterben, bevor ich soweit war, aber ich vermochte ihn mit Salzlösungsinjektionen am Leben zu erhalten, und am späten Sonntagabend zeigte er sogar beunruhigende Symptome einer zumindest teilweisen Besserung.
    Am Montagmorgen wurden die peruanischen Ölaktien lebhaft gehandelt. Offenbar waren Gerüchte laut geworden, daß jemand etwas wisse, und an diesem Tag war ich nicht mehr der einzige Käufer am Markt. Ich kaufte noch ein paar weitere hundert Aktien auf meinen eigenen Namen und überließ die weitere Entwicklung sich selbst. Um die Mittagszeit richtete ich es so ein, daß ich beim Mansion House zufällig Levy begegnete. Er zeigte sich (wie ich erwartet hatte) erstaunt darüber, mich in diesem Teil Londons zu treffen. Ich täuschte eine gewisse Verlegenheit vor und meinte, wir sollten zusammen zu Mittag essen. Ich schleppte ihn in ein Lokal etwas abseits der üblichen Gefilde, bestellte einen guten Wein und trank soviel davon, wie ihm zur Erzeugung einer vertrauensseligen Stimmung ausreichend erscheinen mußte. Ich fragte ihn, wie die Dinge an der Börse ständen. Er sagte: »Ach, ganz gut«, schien aber ein wenig skeptisch zu sein und fragte, ob ich mich auf diesem Gebiet etwa betätige. Ich sagte, ich spekulierte hin und wieder ein bißchen und sei in der Tat jetzt auf eine gute Sache aufmerksam geworden. An dieser Stelle sah ich mich ängstlich um und rückte meinen Stuhl näher an den seinen heran. »Sie wissen wohl nichts über peruanisches Öl?« fragte er.
    Ich erschrak und sah mich wieder um, dann beugte ich mich zu ihm hinüber und sagte mit
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