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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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ich konnte es mir nicht leisten, Verdacht aufkommen zu lassen. Da es noch ziemlich früh war, beschäftigte ich mich noch ein paar Minuten damit, Levy zum Sezieren vorzubereiten. Dann legte ich meinen Armenhäusler auf die Bahre und rollte ihn zum Haus zurück. Es war jetzt fünf nach elf, und ich glaubte annehmen zu dürfen, daß die Dienstboten im Bett waren. Ich trug den Toten in mein Schlafzimmer.
    Er war ziemlich schwer, aber nicht ganz so schwer wie Levy, und meine Bergsteigererfahrung hatte mich gelehrt, mit dem Gewicht eines Menschen umzugehen. Dabei kommt es nämlich mehr auf Geschicklichkeit als auf Kraft an, und ich bin für meine Größe ohnehin ziemlich kräftig. Ich legte die Leiche ins Bett - nicht daß ich damit gerechnet hätte, jemand würde während meiner Abwesenheit ins Schlafzimmer schauen, aber im Falle eines Falles hätte der Bereffende mich dann scheinbar schlafend im Bett gesehen. Ich zog ihm die Decken ein wenig über den Kopf, zog mich aus und legte Levys Kleider an, die mir zum Glück rundherum ein wenig zu groß waren, und vergaß auch seine Brille, Uhr und die anderen Kleinigkeiten nicht an mich zu nehmen. Kurz vor halb zwölf stand ich dann auf der Straße und hielt Ausschau nach einem Taxi. Um diese Zeit kamen die Leute gerade aus dem Theater nach Hause, und es war ein leichtes, gleich an der Ecke Prince of Wales Road ein Taxi zu erwischen. Ich ließ mich zur Hyde Park Corner fahren. Dort stieg ich aus, gab dem Mann ein schönes Trinkgeld und bat ihn, mich in einer Stunde wieder an derselben Stelle abzuholen. Er versprach es mir mit verständnisinnigem Grinsen, und ich ging den Park Lane hinauf. Meine eigenen Kleider hatte ich in einem Koffer bei mir, und ich trug meinen eigenen Mantel und Levys Schirm bei mir. Als ich zur Nummer 9A kam, brannte irgendwo in einem der oberen Fenster noch Licht. Ich war fast zu früh, was daher kam, daß Levy seine Dienstboten ins Theater geschickt hatte. Also wartete ich ein paar Minuten, bis es Viertel nach zwölf schlug. Kurz darauf wurde das Licht gelöscht, und ich schloß mit Levys Schlüssel auf und ging ins Haus.
    Als ich meinen Mordplan erwog, hatte ich ursprünglich beabsichtigt, Levy aus dem Eßzimmer oder der Bibliothek verschwinden und nur ein Häuflein Kleider auf dem Ständer vor dem Kamin hängen zu lassen. Der Zufall, daß ich für Lady Levys Abwesenheit aus London hatte sorgen können, ermöglichte mir jedoch eine noch irreführendere Lösung, wenngleich sie nicht ganz so schön phantastisch war. Ich schaltete das Licht in der Diele ein, hängte Levys nassen Mantel an die Garderobe und steckte seinen Schirm in den Ständer. Dann ging ich mit lauten, schweren Schritten zum Schlafzimmer hinauf und löschte das Licht an dem Doppelschalter auf dem Treppenabsatz. Ich kannte das Haus natürlich gut genug. Eine Gefahr, dem Diener über den Weg zu laufen, bestand nicht. Levy war ein einfacher Mensch, der sich ganz gern selbst versorgte. Er verursachte seinem Diener wenig Arbeit und nahm seine Dienste nie bei Nacht in Anspruch. Im Schlafzimmer zog ich Levys Handschuhe aus und meine Gummihandschuhe an, um keine verräterischen Fingerabdrücke zu hinterlassen. Da ich den Eindruck erwecken wollte, Levy sei ganz wie gewohnt zu Bett gegangen, legte ich mich ins Bett. Die sicherste und einfachste Methode, etwas überzeugend vorzutäuschen, besteht darin, es zu tun. Ein Bett, das man nur mit den Händen zerwühlt, sieht zum Beispiel nie so aus, als ob darin geschlafen worden wäre. Levys Haarbürste wagte ich natürlich nicht zu benutzen, da meine Haare nicht von derselben Farbe sind wie die seinen, aber alles andere tat ich. Ich dachte mir, daß ein rücksichtsvoller Zeitgenosse wie Levy seine Schuhe für den Diener griffbereit hinstellen würde, und ich hätte mir auch denken können, daß er seine Kleider zusammenlegen würde. Das war ein Fehler, aber kein schwerwiegender. Eingedenk Mr. Bentleys wohldurchdachten Werks hatte ich Levys Mund bereits nach falschen Zähnen durchsucht, aber keine gefunden. Ich vergaß jedoch nicht, seine Zahnbürste anzufeuchten.
    Um ein Uhr stand ich auf und zog mir im Schein einer mitgebrachten Taschenlampe meine eigenen Sachen an. Die Schlafzimmerlampe wagte ich nicht anzuknipsen, weil die Fenster nur ganz dünne Jalousien hatten. Ich zog meine eigenen Schuhe und draußen vor der Tür ein altes Paar Überschuhe an. Auf der Treppe und in der Diele lag ein dicker Orientteppich, und ich fürchtete nicht, darauf
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