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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer
Autoren: Dina Nayeri
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werden. »Welchen Rat?«, fragt sie.
    »Stirb nur für jemanden, der wirklich für dich brennt«
, sagt sie.
    Khanom Basir stößt ein resigniertes Lachen aus. Sie nickt ein paarmal. »Ihr Kinder habt so ein Durcheinander angerichtet. Was für ein Durcheinander.« Sie seufzt und drückt Sabas Hand. »Ich möchte was von dem besonderen Tee.« Die Geschichtenerzählerin stemmt sich vom Boden hoch. Sie scheint sich selbst überzeugen zu wollen. »Wegen Missverständnissen in der Familie muss man nicht gleich eine
fatwa
machen. Mein indischer Tee wäre jetzt genau das Richtige«, murmelt sie und lässt die Worte,
ehe du fährst
, unausgesprochen. Saba weiß selbst nicht mehr, warum sie sich solche Mühe gegeben haben, ihre Reisepläne vor Khanom Basir zu verbergen.
    Sie trinken den indischen Tee schweigend. Jeder hängt dabei seinen Erinnerungen nach und unterbricht die Ruhe des frühen Morgens nur, wenn er eine besonders wichtige Erinnerung mit den anderen teilen möchte. Khanom Basir lässt den Tag wiederaufleben, an dem die siebenjährige Saba Reza einen Heiratsantrag machte. Reza mit seiner unendlichen Sanftheit und Bußfertigkeit – oder vielleicht nur mit seinem geerbten Hang zu schönen Lügen – erzählt von ihrem Kuss im Hof und dass er in diesem Moment an niemanden sonst dachte – welcher Mann könnte das? Ihr Vater erwähnt den Tag, an dem sie und Mahtab die ganze Nacht wach blieben, weil sie in ihrer ersten Lieferung englischer Kinderbücher schmökerten, und er erkannte, dass diese großäugigen, hungrigen Wesen ihm nur begrenzt gehören würden.
    Als es Zeit zum Aufbruch ist, erheben sie sich widerstrebend vom
sofreh
, und Saba zieht Manteau und Kopftuch an. Reza wartet am Tor, wo er so tut, als sähe er nach dem Garten. Er nimmt ihre Hand, berührt ihre Wange. »Wer soll denn jetzt den Text singen, wenn ich spiele?«
    Sie holt den Umschlag mit einem Drittel ihres Barvermögens und den Besitzurkunden für Abbas’ Grund und Boden hervor. Sie wiegt ihn in der Hand, nimmt den Inhalt heraus und hält ihn Reza hin. »Ich möchte, dass du Dr. Zohrehs und Ponnehs Gruppe mit dem Geld unterstützt. Und deine Ausbildung abschließt.«
    Reza öffnet den Mund, sagt aber nichts.
    »Ich möchte, dass du das Geld versteckst, okay? Ich hab’s für dich beiseitegeschafft.«
    Reza beginnt, den Kopf zu schütteln. »Nein«, sagt er. Sie sieht ihm an, dass sein Stolz verletzt ist. »Deshalb hab ich dich nicht geheiratet. Ich hätte dich auch geheiratet, wenn du nichts gehabt hättest außer deinen Geschichten.«
    »Ich weiß«, sagt sie und denkt, das ist das Beste, was er je zu ihr gesagt hat, und sie wird es nie vergessen. Sie drückt ihm alles in die Hand und fügt hinzu: »Ich hab immer viel besessen … vielleicht zu viel. Lass mich das mit dir teilen. Abbas’ Familie versucht noch immer, einen größeren Anteil vom Erbe rauszuschlagen. Vielleicht gelingt es ihnen, also versteck das hier, dann hast du noch was, wenn sich die Dinge irgendwann beruhigt haben.« Sie merkt, dass er die Besitzurkunden verwirrt betrachtet. »Ich hatte keine Zeit mehr, mir zu überlegen, was du mit den Urkunden machen solltest. Vielleicht gar nichts. Aber vielleicht kannst du selbst Anspruch auf die Grundstücke erheben, oder du findest eine Möglichkeit, rechtzeitig einen Teil zu verkaufen. Aber Baba kann das nicht für dich machen. Er wird sagen, dass er nichts von meinen Ausreiseplänen wusste.«
    »Okay, aber –«, setzt Reza an.
    »Lass nicht zu, dass Abbas’ Bruder das Geld bekommt. Du weißt, was ich durchgemacht habe.« Reza blickt jetzt nach unten auf seine Füße und nickt, und Saba merkt ihm an, dass er noch immer unsicher ist. »Viele Leute haben für dieses Geld Opfer gebracht«, sagt sie. »Du und Ponneh, was habt ihr durchgemacht, um mich zu beschützen? Sie war da, als Abbas starb. Und du … du hast mich glücklich gemacht, seit wir Kinder waren. Jetzt will ich, dass du glücklich bist.«
    Reza blättert den Packen Geldscheine durch, und Saba hat ein seltsam losgelöstes Gefühl, während sie zusieht, wie er ihre Gabe widerwillig annimmt. Es tut gut, Reza endlich etwas zu schenken. Das hat sie sich schon so lange gewünscht, seit dem Tag, als sie elf waren und er ihr sein ganzes Kleingeld für eine Musikkassette angeboten hat. Doch in all den Jahren und trotz all ihres Geldes hat sie nie eine Möglichkeit gefunden.
    Ehe sie abfahren, ruft Saba bei Ponnehs Nachbarn an und bittet ihre Freundin, zu Khanom Omidis Haus zu
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