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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer
Autoren: Dina Nayeri
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Jacken und Hosen und sogar in das Innenfutter des Koffers ein, während ihr Vater Khanom Basir beschäftigt hält, indem er ein bedauerliches Maß an Inkompetenz in Sachen Hausarbeit an den Tag legt. Er strengt sich mächtig für sie an, bemerkt Saba. Das hat er schon immer getan.
    In der letzten Nacht, die sie durchs Haus spazieren, in ihrem Bett schlafen und in den Garten blicken kann, den Reza und Ponneh für sie gepflanzt haben, hört Saba sich all die Musik an, die sie nicht mitnehmen kann. Traurig überfliegt sie all die Bücher, von denen sie weiß, dass sie sie in Amerika neu kaufen kann. Sie sitzt auf dem Bett, das sie noch immer mit Reza teilt, und macht sich zum ersten Mal bewusst, dass es dasselbe Bett ist, in dem sie so brutal misshandelt wurde. Wieso hat sie nie daran gedacht, es auszutauschen? Es einem der Arbeiter ihres Vaters zu schenken und sich ein neues zu kaufen? Vielleicht war der Gedanke an Reza der Grund, die Idee, dass dieses Bett, das Wissen darum, was darin geschah, sie zusammenhielt. Ein armes, verletztes Mädchen und ihr Freund aus Kindertagen mit seiner konfusen Vorstellung von Ritterlichkeit und einer Schwäche für kaputte Dinge.
    Saba betrachtet Reza, der klein zusammengerollt am Rand des Bettes schläft, und denkt zurück an ihre schönsten Zeiten mit ihm. Die Nächte in der Berghütte. Reza mit der rostigen alten Gitarre im Hamam. Aber letzten Endes, so befindet sie, waren die allerbesten Zeiten die, die sie zusammen mit Ponneh verbracht haben, als sie noch jünger waren – sie drei versteckt in der Vorratskammer ihres Vaters, wo sie gemeinsam gestohlene Joints rauchten, oder per Anhalter unterwegs nach Rasht, um nach Briefen von Mahtab zu fragen.
    Sie gibt ihm einen Gutenachtkuss – Abschiedskuss –, legt dann ihre sämtlichen Papiere in einer Mappe oben auf den Koffer und steigt ins Bett. Als sie einschläft, hat sie noch immer den Kopfhörer auf, und ihre Lieblingsmusik läuft weiter, weil sie es nicht über sich bringt, das alles einfach wegzuwerfen.
    Kurz nach Tagesanbruch klopft ihr Vater an die Tür, flüstert eine Begrüßung und sagt, dass er im Wohnzimmer warten wird, während sie sich anzieht. »Ich mach dir Frühstück«, sagt er. Er hat eine pralle Plastiktüte in der Hand, die stark nach
lavash
-Brot und Käse riecht. John Lennon singt von Regen im Pappbecher, sterbender Liebe, einem sich wandelnden Universum, seine Stimme klingt schwach und gedämpft aus ihrem heruntergefallenen Kopfhörer. Bald übertönt ihn die Hektik ihrer letzten Dusche in ihrem Hamam, ihrer letzten Tasse Tee, ihres letzten Abschieds von den Dingen um sie herum, und die Musik gerät in Vergessenheit. Etwas unbeholfen hat ihr Vater einen Frühstücks-
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vorbereitet und trinkt dort Tee mit Reza und Khanom Basir. Die Luft über ihnen ist voller Spannung und
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und unausgesprochener Wahrheiten. Khanom Basir schüttelt bekümmert den Kopf und hält etwas in einer Hand, das mit dem Eintopf von gestern bekleckert ist. Saba erkennt die blauen Ränder, das glänzende Papier – eines ihrer verfallenen Flugtickets, das sie tief im Müll versenkt hatte, als sie die Überreste ihres alten Lebens durchsah.
    »Mag ja sein, dass mein Gehirn endlich alt geworden ist«, schnaubt Rezas Mutter, »aber ich bin noch nicht blöd. Das ist ein Flugticket. Ich hätte es wissen müssen, als ich das Buch mit den ausländischen Bildern gesehen hab.«
    »Beruhigen Sie sich, Khanom«, sagt Sabas Vater. »Sie hätte es Ihnen vor ihrer Abreise gesagt. Jetzt sind wir alle hier, und Sie wissen, was los ist.«
    Aber Khanom Basir hört gar nicht zu. Sie sinkt wie vom Unglück überwältigt in ein Kissen und birgt das Gesicht in den Händen. »Du verlässt ihn«, sagt sie leise. »Ich hab’s doch gewusst.«
    Reza will seiner Mutter helfen, aber sie schüttelt ihn ab. Ihre Reaktion ist erstaunlich, schließlich wollte sie Saba doch nie in ihrem Leben haben. Die anderen schweigen, während Khanom Basir herausplatzt: »Nach allem, was mein Sohn durchgemacht hat, verlässt du ihn? Ich dachte, jetzt wäre alles gut.« Sie ist nicht hysterisch. Nur neugierig und traurig.
    »Ich höre auf deinen Rat«, sagt Saba und setzt sich neben ihre Schwiegermutter auf den Teppich und die Kissen, die Beine angezogen, während die Männer frischen Tee bringen. Sie nimmt Khanom Basirs Hand.
    Khanom Basir blickt auf, die Augen glasig. Es ist ein seltsamer Blick, und Saba denkt, dass sie vielleicht nur Angst davor hat, zurückgelassen zu
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