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Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Titel: Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)
Autoren: Adriana Popescu
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hier in diesen vier Wänden wird ein anderes Bild meines Lebens gezeichnet. Noch weiß ich nicht, wie lange ich dieses Spiel mitmachen kann, weil sich jetzt schon all meine Organe zusammenziehen, als wollten sie sich verstecken. Nur bietet ihnen mein Körper dafür nicht viel Raum.
    «Magst du etwas trinken?»
    Was für eine Frage. Das kann tatsächlich so nur von meiner Mutter kommen. Langsam drehe ich mich zu ihr um und bin mir nicht mehr so sicher, ob dieser Besuch eine so gute Idee war. Aber sie steht nur da und lächelt selig.
    «Wie bitte?»
    «Ich habe Orangensaft da. Oder Cola.»
    Es mag harmlos klingen, aber in meinen Ohren klingt es eher wie «Wodka-Orange» oder «Rum mit Cola». Sie hat antialkoholische Getränke im Haus, das freut mich, aber es sind die perfekten Bestandteile für ein Mixgetränk. Oder nicht? Ich sehe weiße Mäuse, die auf die Größe von Pandabären anschwellen.
    «Ich nehme eine Cola.»
    «Sollst du bekommen.»
    Sie schiebt sich an mir vorbei, um in die Küche zu kommen. Wieder atme ich tiefer als nötig ein, aber noch immer riecht es nicht nach Alkohol. Wodka riecht man aber nicht … Schnell folge ich ihr in die Küche. Möglichst unauffällig sehe ich mich um. Tassen, Teller und Besteck stehen da, nichts Verdächtiges. Meine Mutter bemerkt meinen Blick und sieht mich an.
    «Suchst du etwas Bestimmtes?»
    «Hm?»
    Ich muss Zeit gewinnen und in Erfahrung bringen, ob …
    «Es ist kein Alkohol im Haus!»
    Sie verschränkt die Arme vor der Brust und mein Herz will schneller hüpfen. Nur leider habe ich solche Sprüche in der Vergangenheit schon zu oft gehört. Zu oft habe ich ihr geglaubt – und das weiß sie. Immer wieder kam ich zu Besuch und habe sie betrunken erlebt. Natürlich hatte sie immer eine Ausrede. Natürlich war es immer nur ein Ausrutscher, denn eigentlich war sie schon trocken und irgendeine Kleinigkeit hat sie aus der Bahn geschubst. Immer will sie es beim nächsten Mal besser machen.
    «Gut.»
    Wenn ich zu viel Freude zulasse, wird es wieder eine Bruchlandung geben, wenn sie das nächste Mal rückfällig wird. Ohne Hilfe kann man nur schwer trocken werden, das wissen wir beide. Hilfe will sie aber nicht. Sie reicht mir ein Glas Cola und lächelt.
    «Womit habe ich den Besuch meines Sohnes verdient?»
    «Ich wollte nur mal sehen, wie es dir so geht.»
    Sie glaubt mir nicht, was ich ihr nicht übel nehmen kann. Erst mal nehme ich einen großen Schluck Cola.
    «Damian. Was auch immer du hier willst, sag es einfach.»
    So schnell gehen uns die Freundlichkeiten aus. Keine vier Minuten und wir sind schon beim Eingemachten. Sie weiß genau, weswegen ich hier bin. Genau hier. An dieser Stelle.
    «Falls du wissen willst, ob ich wieder trinke: nein. Bist du jetzt enttäuscht?»
    Ja! Ja, ich bin enttäuscht. Aber nicht deswegen … Es zuckt ein kurzes Lächeln über meine Lippen. Ich schüttele kurz den Kopf.
    «Du kannst also aufhören, dir Sorgen um deine alte Mutter zu machen.»
    Ich lache kurz auf und sie sieht mich sofort strafend an. Ganz so, als würde sie es nicht gestatten, dass ich sie auslache. Ihr Blick ist deutlich, aber es fällt mir schwer, diese Szene ohne Lachen oder Weinen zu beenden.
    «Findest du das lustig, ja?»
    «Nein. Sicher nicht. Aber wenn du glaubst, ich könnte einfach meine Sorge abschalten ...»
    «Ich brauche keinen Babysitter, Damian. Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Aber ich bin kein Kind.»
    Nein. Das ist sie nicht. Wie gerne würde ich meine Mutter in den Arm nehmen, fest an mich drücken und wissen, dass es ihr gut geht. Aber es geht ihr nicht gut. Das ging es nie. Nur weil sie jetzt gerade wieder eine Phase hat, in der sie nicht trinkt, heißt das nicht, dass ich mir keine Sorgen mehr machen muss. So etwas kann man nicht abstellen. Vielleicht ist sie kein Kind mehr. Aber ich wäre es gerne wieder. Nur für einen Tag. Bevor sie wegsieht, hole ich tief Luft.
    «Ich bin hier, weil ich dir etwas sagen will.»
    Das wird nicht leicht und das wird auch nicht schön. Aber nach allem, was ich Lea heute an den Kopf geworfen habe, wird es Zeit, dieses Kapitel zumindest für dieses Jahr zu schließen. Meine Mutter sieht mich erwartungsvoll an. Zu gerne würde ich ihr sagen, wie schwer es für ein Kind ist, mit der Alkoholsucht der eigenen Mutter umzugehen – und wie schwer es ist, wenn man zu früh erwachsen werden muss, weil man Angst hat, dass sie eines morgens nicht mehr aufwacht. Und wie sehr ich den Nikolaustag hasse, weil ich sie damals
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