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Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Titel: Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)
Autoren: Adriana Popescu
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Beschenkten. Bisher dachte ich immer, das würde sich auf Sex beziehen. Man kann es bestimmt auch darauf beziehen. Aber während ich vor Leas Tür warte und die blinkenden Lichter an der Nikolausmütze anschalte, ergibt der Spruch auch bei anderen Geschenken einen Sinn. Einmal, zweimal drücke ich auf die Klingel und warte.
    «Hallo?»
    «Ho-ho-ho! Darf ich raufkommen?»
    «Damian?»
    «Nein, der Nikolaus. Los, mach auf!»
    Kurze Stille. Lea wird noch sauer sein. Verletzt. Aber gleich wird sie mir verzeihen. Der Summer erlöst mich von meiner Warterei und ich habe nur noch zwei Stockwerke vor mir. Ganz ohne verbotene Substanzen im Blut bin ich dennoch total berauscht, als ich zwei Stufen auf einmal nehme und endlich an ihrer Wohnungstür ankomme. Langsam ziehe ich den Short-Comic aus der Tüte, überprüfe die Blinklichter an meiner Mütze und grinse unwillkürlich.
    «Nette Mütze!»
    Mit Anlauf gegen ein Brett zu rennen oder auf ein Fahrrad ohne Sattel zu springen: so fühlt es sich ganz plötzlich an. Genau so!
    «Tobi. Hi.»
    Tatsächlich – Tobi. In Boxershorts und einem T-Shirt, barfuß. So wie ich. Heute Morgen. Er hat wohl nicht einfach nur alleine auf der Couch gelegen, zumindest lassen seine völlig verwuschelten Haare darauf schließen. Von Lea keine Spur. Er verschränkt die Arme vor der Brust und grinst dümmlich.
    «Lea ist noch mal schnell unter die Dusche. Post-Sex-Dusche, quasi.»
    Ich nicke.
    «Sie hat mich ganz aufgelöst angeschrieben und ich war sowieso auf dem Rückweg. Was will ich in Hamburg, wenn ich meine Süße haben kann?»
    Wieder nicke ich.
    «Und zwar in jeder – Po – si – tion.»
    Nicken, Damian! Nicken!!
    «Aber nun zu dir. Was gibt’s?»
    Ich zerknülle das Stück Papier in meiner Hand zu einem großen Klumpen und zucke nur betont gelangweilt die Schultern.
    «Ich war in der Gegend. Muss aber gleich weiter. Sag ihr einfach einen Gruß.»
    Überraschend, wie cool und gefasst ich doch wirke. Jahrelange Übung, würde ich sagen. Denn eigentlich würde ich Tobi gerne mal wieder die Fresse polieren! In meinem Kopf sehe ich eine billige Comic-Version von ihm. So wie die Spielfiguren früher bei Street Fighter auf dem Nintendo. Viel zu muskelbepackt und viel zu kantig. Blut spritzt, als ich ihm die Nase breche und er zu Boden geht. Mein Comic-Ich sieht eher wie eine schneidige Version aus den Marvel Comics aus. Lässig, kühn, heldenhaft. Ein melancholischer Superheld im Stile von Wolverine .
    «Tja dann. Du weißt ja: Spart Wasser, duscht zu zweit.»
    Tobi zwinkert mir breit grinsend zu und schlägt dann die Tür zu, bevor ich auch nur irgendwas erwidern kann. Aber was sollte ich auch sagen? Ich hebe meinen ausgestreckten Mittelfinger zum Abschiedsgruß und hoffe, er wirft noch einen Blick durch den Türspion, während ich mich umdrehe und die Treppen wieder nach unten steige. Soviel also zu den neuen Erinnerungen, die alte Erinnerungen verdrängen sollen. Die einzigen Bilder, die sich jetzt in meinem Kopf ausbreiten, sind die von Tobi und Lea unter der Dusche. So ähnlich wie heute Morgen, als sie fast zu mir unter die Dusche gestiegen wäre. Aus anderen Gründen, aber das ändert doch nichts.
    Draußen empfängt mich die Kälte des 6. Dezembers 2013. Vorhin ist es mir nicht aufgefallen, aber jetzt ziehe ich den Kragen meiner Jacke höher und werfe das zerknüllte Papier einfach weg. Das war ohnehin ein lausig gezeichneter Comic. Eine ganz miese Leistung von mir. Peinlich.
    Während ich die Straße nach unten laufe, greife ich nach meinem Handy und wähle eine Nummer, die ich unter «Favoriten» gespeichert habe. Es ist so erbärmlich, das weiß ich selber. Ich werde es bereuen. Aber bevor die Zweifel lauter werden und mir ins Gesicht brüllen, denke ich einfach an Tobi. Lea hat ihn sofort angerufen. Weil sie zu ihm gehört. Weil sie sich von ihm trösten lassen wollte. Es klingelt nur zweimal.
    «Was?»
    «Hey Baby!»
    «Was willst du?»
    Frauen, die wütend auf einen sind, weil man gestern Nacht einen Moment zu lange mit der Frau an der Bar geflirtet hat, kann man nur durch eine Sache wieder besänftigen. Simone bildet da keine Ausnahme.
    «Ich habe ein Geschenk für dich.»
    «Wirklich?»
    «Wirklich.»
    «Wenn das Geschenk in deiner Hose ist, finde ich den Witz langsam albern, Damian.»
    «Nein. Es ist schön in Weihnachtspapier verpackt. Und ich trage es in einer Tüte.»
    An der Ampel bleibe ich stehen und schaue auf die kleine Tüte in meiner Hand. Nein, das fühlt sich
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