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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall
Autoren: Pearson Mary E.
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warst unglücklich. Wie kann man an so einem wunderschönen Oktobertag unglücklich sein?«
    Ich stehe auf. Ich verschwende meine Zeit doch nicht mit irgendwelchem philosophischen Quatsch. »Ich geh dann mal.«
    »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    Unverschämt, der Typ! Aufdringlich! Übergriffig! Ich kenne ihn nicht mal.
    Ich setze mich wieder hin. Ich lasse mich doch nicht von so jemandem vertreiben. Und wenn er dreimal Lehrer ist und ich eigentlich im Unterricht sein müsste! Ich war zuerst hier, darauf kommt es an.
Heute
kommt es darauf an. Ich funkle ihn wütend an, durchbohre ihn mit meinem Blick, damit er kapiert, dass ich keineswegs unglücklich bin.
    »Dass heute ein wunderschöner Tag ist, gilt nicht für jeden, Mr Nestor. Für mich jedenfalls nicht.«
    »Kann ich etwas für dich tun?«
    Warum lässt er mich nicht einfach in Ruhe?
    Er zieht aufreizend die Augenbrauen hoch, und dann, es kommt noch schlimmer, legt er den Kopf schief! Als könnte ich jetzt gar nicht mehr anders, als mich ihm anzuvertrauen!
    Mir reicht’s. Das geht jetzt echt zu weit. Ich stehe auf. Setze mich wieder. Schaue weg. Schaue wieder hin. Der Kloß in meinem Hals hat sich in eine Feuerkugel verwandelt. Dieser Blödmann hat ihn in Brand gesteckt. Zählen nützt nichts mehr.
    »Ob Sie etwas für mich
tun
können?« Ich stehe wieder auf. »Meinen Sie das ernst?«
    »Ja.«
    Vor meinen Augen fängt es an zu flimmern. Ich gehe einmal um die Bank herum und bleibe dicht vor seinen abgewetzten Hosenbeinen stehen. »Sie wollen wirklich wissen,
was Sie für mich tun können

    »Sonst hätte ich nicht gefragt.«
    Ich mache die Augen fest zu und kneife mich in den Nasenrücken.
Eins … zwei … drei …
    »Vier Autoreifen! Sie können mir vier Autoreifen besorgen! Oder ist das zu viel verlangt?« Er will etwas erwidern, aber ich lasse ihn nicht zu Wort kommen: »Lassen Sie mich gefälligst ausreden! Ich bin noch lange nicht fertig! Zweitens können Sie dafür sorgen, dass der Haferbrei nicht klumpig ist. Dass die Köchin das Zeug nur ein einziges Mal vernünftig umrührt!« Ich mache drei Schritte rückwärts und dann vier wieder vor, so dass ich noch dichter vor ihm stehe. »Sie können mir ein eigenes Bett beschaffen, ein Bett, das mir allein gehört, und zwar nicht nur einen Monat oder ein Jahr lang, sondern bis an mein Lebensende! Sie können dafür sorgen, dass meine Eltern mir schreiben. Dass sie kapieren, wie man sich fühlt, wenn man abgeschoben wird!«
    »Ist das …«
    »Und Sie können dafür sorgen, dass Seth einen Zusatzpunkt kriegt!«
Ich habe weiche Knie, mein Hals ist wie zugeschnürt. Ich lasse mich auf die Bank fallen und sehe ihn fest und lange an, ohne zu zwinkern. »Jetzt wissen Sie, was Sie für mich tun können«, knurre ich. »Ich möchte nur, dass einen Tag lang ausnahmsweise das Gute siegt. Dass es ein Mal gerecht und vernünftig auf der Welt zugeht. Dass einen Tag lang alles ist, wie es sein soll.
Einen einzigen Tag lang.
Ist das denn zu viel verlangt? Mehr will ich gar nicht.«
    »Dass alles ist, wie es sein soll …«
, wiederholt er langsam, als hätte ich Chinesisch gesprochen. Er steht ebenfalls auf, klopft sich nachdenklich mit dem Zeigefinger an die Lippen. »Dass einen Tag lang alles ist, wie es sein soll, und dass es gerecht zugeht. Soso.« Er schaut mich an, schaut mir tief in die Augen. Seine Augen sind ein bisschen zusammengekniffen und wasserblau. Mich fröstelt. »Und warum?«, fragt er. »Warum wünschst du dir das so sehr? Was würde ein einziger solcher Tag ändern?«
    Weiß ich doch auch nicht.
    Solche Fragen kann man nicht beantworten. Da dreht man sich bloß im Kreis und kommt zu keinem Ende. Ich muss es wissen, denn ich habe mir genau diese Frage schon x-mal gestellt. Ich senke den Blick. Meine Knie zittern, ich drücke sie mit den Handflächen fest nach unten. Einen einzigen Tag lang … Vielleicht würde ich mir dann nicht immerzu wie eine wehrlose Marionette vorkommen. Oder ich hätte einmal das Gefühl, dass es
doch
einen Ausgleich für die Ungerechtigkeiten dieser Welt gibt. Vielleicht könnte ich wieder an etwas glauben, auch wenn ich nicht recht weiß, woran. Daran, dass alles irgendwie seine Ordnung hat, vielleicht. Dass alles einen Sinn hat. Eine Bedeutung. Vielleicht könnte ich dann die ganzen anderen Tage besser überstehen. Oder ich hätte wenigstens das Gefühl, dass mir jemand zuhört. Oder … ach, vielleicht wäre es einfach nur ein gutes Gefühl. Vielleicht würde es
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