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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz
Autoren: Jessica Thompson
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an«, sagte sie und schluckte den Kloß im Hals hinunter.
    Langsam hob er den Kopf und blickte ihr in die Augen, die rot waren vom Weinen.
    Und dann kam er: der Moment, vor dem sie sich so lange gefürchtet und den sie im gleichen Maße herbeigesehnt hatte.
    Als sie ihm in die Augen sah, einem Mann, den sie an einer Bushaltestelle oder in einem Zug mit Interesse betrachtet hätte, weil er so jung und frisch aussah, so erfüllt von den wunderbaren Möglichkeiten, die die Jugend mit sich bringt. Doch all das war dahin. Wirklich alles.
    »Es tut mir leid   … es tut mir leid. Es tut mir so furchtbar leid«, sagte er und begann zu weinen. Sein Kiefer war starr, und er sah aus, als wäre er wütend auf sich selbst, während ihm die Worte aus dem Mund strömten wie Wasser, das von einem Damm zurückgehalten worden war, der schließlich barst.
    Der Ausdruck in seinem Gesicht machte Bryony Angst; er ließ in ihr Übelkeit aufsteigen, und sie musste langsam durch die Nase atmen. Ihre Beine begannen zu zittern, aber tief drinnen empfand sie Ruhe. Noch nie hatte sie sich in solch einem merkwürdigen Zustand erlebt. Sie hatte Ruhe im Auge des Sturms gefunden.
    Keon rückte plötzlich auf seinem Stuhl näher, bis er der Scheibe so nahe war, dass sie von seinem Atem beschlug. »Bryony, bitte. Bitte sagen Sie etwas; irgendetwas   … ich muss Sie hören«, sagte er und fasste sich ein wenig; sein Weinen ließ nach. »Sie wissen nicht, was passiert ist, Sie können es nicht verstehen. Ich hasse mich für das, was ich getan habe. Ich wünschte, ich könnte   … ich wünschte, ich könnte einfach sterben.«
    Ein Wärter suchte ihren Blick, sah sie an, als wollte er ihr sagen, dass er sie retten würde, wenn sie gerettet werden müsse. Sie hob die Hand und lächelte sanft, ließ ihn wissen, dass allesokay sei. Ihr war klar, dass sie unwillkürlich reagiert hatte. Es schien, als wäre alles vorher überlegt und in Worte gefasst, als spielte sie nur die ihr zugedachte Rolle.
    »Die Sache ist die, Bryony, ich bin nur ein Junge. Ein dummer kleiner Junge. Und ich muss es irgendwie bei Ihnen wiedergutmachen, was ich getan habe. Ich weiß nur nicht, wie. Was kann ich tun? Helfen Sie mir   … bitte.« Zuletzt flüsterte er nur noch und legte den Kopf auf die Tischplatte.
    Bryony dachte an Max, daran, was für ein guter Mann er gewesen war, innerlich wie äußerlich. Was würde Max wollen?, fragte sie sich. Er hätte gewollt, dass etwas Gutes dabei herauskam. Ja, was immer sie tun würde, sie würde es für Max tun, nicht für sich. Um sie ging es hier gar nicht mehr.
    »Sehen Sie mich an«, flüsterte sie und spürte, wie Tränen an die Oberfläche stiegen.
    »Wieso?«, fragte Keon. Er hob den Blick. Ein wenig hatte er Angst vor dem, was sie tun könnte.
    »Bitte kommen Sie etwas näher.« Sie hob die Hand an die Scheibe und ließ sie dort.
    Keon legte die Stirn an die kalte, glänzende Trennfläche. Er weinte wieder. Während er weinte, rollte er in seinem Elend den Kopf hin und her, bis er die Wange gegen das Glas presste. Die Haut wurde an die Scheibe gedrückt, und sein Gesicht sah zermalmt und unproportioniert aus. So etwas machten Kinder im Bus, um ihre Freunde zum Lachen zu bringen, aber diesmal war es nicht komisch.
    In keiner Weise.
    Bryony ließ die Finger an die Stelle wandern, wo sein Gesicht war, und spürte, wie die Wärme durchkam und ihre Fingerspitzen berührte. Die Wärme eines Menschen, der ihr alles genommen, der so viel Kälte in ihr Leben gebracht hatte.
    Sie strich über das Glas, als wäre es seine Wange, als versuchtesie ihn zu beruhigen, und in ihrem Kopf fragte sie Max lautlos, ob das in Ordnung sei.
    Ohne hinzusehen, hob Keon beide Hände an die Scheibe und drückte die Fingerspitzen dagegen. Bryony hob die andere Hand, sodass sie einander wie durch das Glas gespiegelt gegenüberstanden.
    Und dann kamen die Worte einfach heraus. »Keon«, sagte sie. Ein paar Sekunden Schweigen folgten.
    »Ja?«
    »Ich vergebe dir   …«
    Drei kleine Wörter.
    Die Luft entwich aus Keons Lunge, und es kam ihm vor, als bröckele er innerlich zusammen wie eine einstürzende Felswand.
    Eine gewaltige Last hob sich von Bryonys Schultern; etwas Neues geschah, und es war nur der Anfang, das empfand sie sehr stark. Mehr konnte sie im Moment nicht aufnehmen, und wortlos erhob sie sich langsam; ihr Stuhl scharrte laut über den Boden. Während sie auf die Tür zuging, rutschte Keon von seinem Stuhl und brach in Tränen der
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