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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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wäre es das Beste.« Und: »Es sieht hier ziemlich traurig aus.«
    Die Trauer der Jungen war schrecklich, sie war unmäßig, sie erschreckte ihre neuen Freunde, die fanden, dass alles zu viel für die beiden war. Immerhin hatte man diesen Kindern – und das waren sie schließlich noch – alles entrissen, was sie kannten, und dann hatte man sie plötzlich … Aber »Kulturschock« passte kaum, wenn dieser nützliche Ausdruck die angenehme Verstörung beschreibt, die man empfindet, wenn man von London nach Paris reist. Nein, der tiefe Schock, den Clever und Zebedee erlitten hatten, war unvorstellbar, und deswegen durfte man auch nicht auf ihre Gesichter achten, die aussahen wie tragische Masken mit tragischem Blick.
Gequältem
Blick?
    Es gab etwas, von dem die neuen Freunde keine Vorstellung hatten und das sie nie verstanden hätten: Die Jungen wussten, dass Sylvia durch Joshuas Fluch gestorben war. Wenn sie da gewesen wäre und sie ausgelacht und gesagt hätte: »Ach, wie könnt ihr so einen Unsinn denken?«, dann wären die Schuldgefühle geringer gewesen, auch wenn Sylvia sie nicht hätte überzeugen können. So aber wurden sie von ihren Schuldgefühlen erdrückt, und sie konnten die Last nicht ertragen. Also fingen sie an zu vergessen, wie wir es alle tun im schlimmsten und tiefsten Schmerz.
    Klar vor Augen hatten sie jede Minute der langen Tage, an denen sie darauf gewartet hatten, dass Sylvia aus Senga zurückkam, um sie zu retten, während Rebecca starb und Joshua dalag und mit dem Sterben wartete, bis Sylvia kam. Die lange, quälende Sorge – die vergaßen sie nicht, und auch nicht den Moment, in dem Sylvia wieder aufgetaucht war wie ein kleines weißes Gespenst, um sie zu umarmen und mit sich fortzureißen. Danach wurde es undeutlich, Joshuas knochiger Griff um Sylvias Handgelenk und seine mörderischen Worte, das furchterregende Flugzeug, die Ankunft in diesem merkwürdigen Haus, Sylvias Tod … Nein, all das verlosch, und bald war aus Sylvia ein freundliches, schützendes Wesen geworden, und sie erinnerten sich, wie sie im Staub kniete, um ein Bein zu schienen, oder zwischen ihnen auf dem Rand der Veranda saß und ihnen das Lesen beibrachte.
    Inzwischen wachte Frances immer wieder auf, ihr Magen zog sich zusammen vor Sorge, und Colin sagte, er schlafe auch schlecht. Rupert sagte zu ihnen, man habe in diese Entscheidung noch nicht genügend Überlegung eingebracht, das sei das Problem.
    Wieder einmal schreckte Frances mit einem Schrei auf und merkte, dass Rupert sie festhielt: »Komm mit nach unten. Ich mache dir Tee.« Und als sie in die Küche kamen, saß Colin am Tisch, und vor ihm stand eine Flasche Wein.
    Vor dem Fenster war es so dunkel, wie es um vier Uhr in einer Winternacht ist. Rupert zog die Vorhänge zu, setzte sich zu Frances und legte den Arm um sie. »Nun, ihr zwei, ihr müsst entscheiden. Und wie immer ihr euch entscheidet – danach müsst ihr euch die Alternative wirklich aus dem Kopf schlagen. Sonst werdet ihr beide krank.«
    »Stimmt«, sagte Colin und griff zittrig nach der Weinflasche.
    Rupert sagte: »Hör mal, alter Junge, trink jetzt nichts mehr, sei ein guter Kerl.«
    Frances hatte jenes unangenehme Gefühl, das eine Frau manchmal hat, wenn ihr Mann, der nicht der Vater ihres Sohnes ist, die Vaterrolle übernimmt: Rupert hatte gesprochen, als würde William dort sitzen.
    Colin schob die Flasche weg. »Das ist eine verdammt unmögliche Situation.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Frances. »Sind wir uns im Klaren, was wir uns aufladen? Ist euch bewusst, dass ich tot bin, wenn die Jungen mit ihrer Ausbildung fertig sind?«
    Ruperts Arm schloss sich fester um ihre Schultern.
    »Und trotzdem müssen wir sie behalten«, sagte Colin aggressiv und unter Tränen, er flehte sie an. »Wenn ein paar Kätzchen versuchen, aus dem Eimer zu krabbeln, in dem sie ertränkt werden sollen, dann wirft man sie nicht wieder hinein.« Den Colin, der da sprach, hatte Frances seit Jahren nicht mehr gesehen oder gehört; Rupert hatte diesen leidenschaftlichen jungen Mann nie kennengelernt. »Das macht man einfach nicht«, sagte Colin und beugte sich vor, und er sah seiner Mutter und dann Rupert in die Augen. »Man wirft sie nicht wieder rein.« Ein Heulen brach aus ihm hervor: Es war lange her, dass Frances dieses Heulen gehört hatte. Er ließ den Kopf auf die Arme sinken, die auf dem Tisch lagen. Rupert und Frances hielten schweigend Zwiesprache.
    »Ich glaube«, sagte Rupert, »es gibt nur eine
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