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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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hatten, und dann von Andrews Frau, und sie sagte offen, dass die Ehe nicht halten könne. Sie sprach tonlos und übermittelte Informationen, ganz ohne den Beigeschmack des Klatsches und ohne auf die verschlungenen Wege des Lebens einzugehen. Die Jungen sahen sie immer wieder an, um ihre Gefühle zu ergründen, denn ihre Stimme sollte offenbar nichts davon verraten: Weil die beiden besorgt erschienen, ging auch den anderen auf, dass man sich um Sylvia Sorgen machen musste. In Wirklichkeit hatte Sylvia das Gefühl, irgendwohin zu treiben, und das lag nicht nur am Schlafmangel. Sie war müde, ja, so müde, und es war schwer, bei der Sache zu bleiben, aber das musste sie doch, denn die Jungen waren abhängig von ihr, und sie war die Einzige, die verstehen konnte, wie schwer es für sie war. Rupert stellte Fragen wie ein guter Journalist, aber er tat das, weil er wusste, dass sie festgehalten werden musste wie ein Drachen, der zu heftig steigt. Er spürte, dass sie in Sorge war, hatte er sich doch so lange um William gekümmert, der so sehr litt und darauf angewiesen war, dass er, Rupert, ihn verstand. Und währenddessen brabbelte und quasselte das kleine Kind und schäkerte mit allen, auch mit den schwarzen Jungen, jetzt, wo sie sich an ihren Anblick gewöhnt hatte.
    Sophie kam in einer Parfümwolke hereingerauscht. Sie war dicker geworden und »eher Madame Bovary als die Kameliendame«, wie sie selbst sagte. Sie trug etwas Elegantes, Weitgeschnittenes in Weiß, und ihr Haar war zu einem Knoten geschlungen. Sie warf Colin leidenschaftliche, schuldbewusste Blicke zu, bis er sie küsste und sagte: »Und jetzt halt die Klappe, Sophie. Heute Abend stehst du nicht im Mittelpunkt.«
    »Um Gottes willen, Sylvia, was ist denn los mit dir?«, rief Sophie. »Du siehst ja aus wie der Tod.«
    Diese Worte trafen sie wie ein Kälteschock, aber woher sollte Sophie auch wissen, dass der Vater der Jungen gerade gestorben war und dass monatelang jeden Samstagnachmittag jemand beerdigt werden musste, den sie ihr Leben lang gekannt hatten.
    »Ich glaube, ich mache ein Schläfchen«, sagte Sylvia und stemmte sich aus ihrem Stuhl. »Mir ist …« Sie küsste Frances. »Liebste Frances, wieder hier bei dir zu sein, wenn du nur wüsstest … liebe Sophie …« Sie lächelte alle unbestimmt an und legte ihre zittrige Hand auf Clevers und dann Zebedees Schulter. »Wir sehen uns später«, sagte sie. Sie ging hinaus und hielt sich dabei an der Tür und dann am Türrahmen fest.
    »Keine Sorge«, sagte Frances zu den Jungen. »Wir kümmern uns um euch. Sagt uns einfach, was ihr braucht, denn wir verstehen euch noch nicht so wie Sylvia.« Die Jungen starrten Sylvia nach, und man konnte deutlich sehen, dass sie überfordert waren. Sie wollten wieder nach oben ins Bett, und Marusha begleitete sie mit Celia auf dem Arm. Dann folgte Sophie – anscheinend hatte sie vor, über Nacht zu bleiben.
    Frances, Colin und Rupert wandten sich William zu und wussten, was jetzt kam.
    Er war inzwischen ein großer, schlanker, blonder junger Mann und sah gut aus, aber die blasse Haut spannte über seinem Gesicht, und oft hatte er um die Augen einen angestrengten Zug. Er liebte seinen Vater und war immer so nah wie möglich bei ihm, obwohl Rupert zu Frances sagte, er wage es nicht, ihn zu umarmen und an sich zu drücken: William mochte das offenbar nicht. Und er sei verschlossen, sagte Rupert, teile seine Gedanken nicht mit. »Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir sie nicht kennen«, sagte Frances. Sie erlebte William, der sie bei kleineren Problemen zurate zog, als jemanden, der eine Qual unterdrückte, von der sie nicht glaubte, dass eine Umarmung oder ein Kuss sie erreichen konnte. Und er arbeitete so hart, um gut in der Schule zu sein, immerzu schien er mit unsichtbaren Engeln zu ringen.
    »Sollen die hier wohnen?«
    »Es scheint so«, sagte Colin.
    »Warum denn?«
    »Komm schon, altes Haus, sei doch nicht so«, sagte sein Vater.
    William lächelte Colin, den er offenbar sehr mochte, mit einem jämmerlichen Ausdruck an.
    »Sie haben keine Eltern«, sagte Colin. »Ihr Vater ist gerade gestorben.« Er hatte Angst zu sagen: an Aids, weil das Wort einen solchen Schrecken verbreitete, obwohl in diesem Haus Aids so weit weg war wie der Schwarze Tod. »Sie sind Waisen. Und sie sind sehr arm … ich glaube nicht, dass Leute wie wir das verstehen können. Und sie haben keine Schule besucht, nur Sylvias Unterricht.« In allen Köpfen erschien kurz das Bild eines Raumes
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