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Ein Stueck vom Himmel

Ein Stueck vom Himmel

Titel: Ein Stueck vom Himmel
Autoren: Karl Lukan
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dieser Frage hatte er sich dann selber therapiert, ist u. a. auch den Blechmauernriss an der Rax geklettert, wo man an der berüchtigten Hangelstelle so an die 200 Meter Luft unter den Beinen hat. Und als Siebenundsechzigjähriger machte er auch noch den Pilotenschein.
    Die Rax war sein Lieblingsberg und für uns junge Kletterer war er lange Zeit nur »der Doktor« – so ein Doktor, der Bauchwehpulver verschreibt. Wir wussten nicht, dass er ein ganz anderer Doktor war, und wir wussten auch nicht, dass er als Jude die Jahre 1942 bis 1945 im KZ verbracht hatte und dass seine Frau, sein Vater und seine Mutter sowie seine Brüder im KZ ermordet wurden.
    Wenn einer von uns plötzlich ein Wehwehchen hatte, fragte er den Doktor, was er dagegen tun soll, und uns fragte der Doktor, wie diese oder jene Kletterstelle am besten zu derpacken sei. So war das damals.
    Am liebsten kletterte der Doktor den Drei-Enzian-Steig. In dem Steigbuch gab es fast keine Seite, auf der nicht der Name Viktor Frankl zu lesen war. Ein Kletterer hatte dann auch die Eintragung gemacht: »Wir beantragen ein eigenes Steigbuch für Viktor Frankl!«
    Einmal kam Dr. Frankl von einer langen Vortragsreise in den USA wieder heim nach Wien. Er kam heim – und fuhr gleich wieder weg.
    Frankl hatte sich selber das Klettern im Fels als Therapie verschrieben und damit die Angst vor der Tiefe überwunden. Jedoch: So wie schon viele Leute vom schmerzstillenden Morphium rauschgiftsüchtig geworden sind, so ist unser Doktor von seiner Therapie fels- und klettersüchtig geworden!
    An jenem Morgen, als er wieder in Wien gelandet und zu Hause angekommen war, schlüpfte er sofort in seine Kletterkluft und fuhr mit dem nächsten Zug zur Rax, um am Drei-Enzian-Steig wieder Fels zwischen die Finger zu kriegen. (Vorher hatte er noch schnell einen von seinen Kletterpartnern aus Gloggnitz angerufen, die als Schichtarbeiter auch Zeit für solche Extratouren hatten.)
    Doch so flott ist’s dann doch nicht weitergegangen. Die Folgen der langen und auch anstrengenden Vortragsreise in den USA sowie der lange Heimflug ohne viel Schlaf hatten den Felssüchtigen etwas eingebremst.
    Am Abend dieses Tages (der Doktor war schon wieder heim nach Wien gefahren) hörte ich im Otto-Schutzhaus, wie sein Kletterpartner zu einem Spezl sagte: »Unser Doktor war heute gar net guat beinand!« Und nach einer Pause: »Wir müssen uns wieder ein bisserl mehr um ihn kümmern ... es wär schad, wenn er ganz verkommen tät!«
    Der Seilknoten oder das Unbewusste in uns
    1969 erschien mein Buch »Bergsteigen – richtig, sicher und mit Freude«. Darin sind auch die fürs Anseilen damals üblichen Seilknoten beschrieben und vor allem in wirklich informativen Zeichnungen gezeigt. Dazu schrieb ich damals: »Dem Anfänger erscheinen die Seilknoten so kompliziert wie etwa die Zauberformel, mit der man aus alten Hosenknöpfen hausgemachte Atombomben herstellt. Seilknoten muss man üben. Jeder geübte Bergsteiger würde sich selbst im Schlaf anseilen können.« Doch jedes Jahr, ehe unsere Gruppe die Anfänger der Bergsteigerschule in den Fels führt, kann man vor dem Beginn des Seilknoten-Übungsabends einige Gestalten in einem finsteren Winkel beobachten, die verbissen die Seilknoten theoretisch üben. Das sind die Herren Kletterlehrer, die wohl schon durch die schwersten Wände der Alpen gestiegen sind und selbstverständlich die Seilknoten praktisch im Schlaf beherrschen ... Aber die Theorie! Diese verdammte Theorie! Wie sag ich’s meinem Kinde? Jeder Mann kann sich seine Krawatte auch im Schlaf binden, aber einem anderen eine solche umzuhängen, das ist kompliziert. Der einfachste Seilknoten ist der »Führerknoten« (auch Sackstich genannt). Er wird hauptsächlich zum Anseilen des Mittelmannes einer Dreierseilschaft verwendet. Es ist ein ganz einfacher Knoten.
    2010 wollten zwei Junge unserer Bergsteigergruppe einen Kletterfilm drehen, in dem auch gezeigt werden sollte, wie ganz anders alles anno dazumal war. Fritzerl und ich sollten das zeigen. Wir fuhren in den Wienerwald zur Friedrichswand, einem aufgelassenen Steinbruch mit brüchigem Fels. Dort sind wir im Frühling immer geklettert, weil Klettern im brüchigen Fels die Klettertechnik verfeinert.
    Am Fuß der Wand erzählten wir den beiden von den Veränderungen der Sicherungstechnik im Verlauf der Zeit. Bis Ende der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts wurde beim Sichern das Seil noch in der Hand gehalten wie eine langstielige Tulpe. Dann wurde die
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