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Ein Stueck vom Himmel

Ein Stueck vom Himmel

Titel: Ein Stueck vom Himmel
Autoren: Karl Lukan
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Turmspitze bei jedem heftigem Windstoß sachte wankte. Ich hatte ein mulmiges Gefühl.
    Einige Tage später stiegen wir noch einmal auf den Turm. Diesmal bewegte kein Windhauch die Luft. Wir benützten vom Angstloch weiter nicht die Leiter des »Normalweges«, sondern kletterten an den Krabben der Strebepfeiler hoch. Kein Sturm, kein schwankender Turm.
    Nachher haben wir gesagt: »Schöner war’s aber doch auf dem Turm, wie uns der Wind bald abighaut hätt!«

DER GEBORENE KLETTERER
    Einmal kam die Renate mit ihrem zwei Monate alten Baby auf den Peilstein. »Der jüngste Peilsteinkletterer!«, sagte sie stolz. Renate war eine begeisterte Kletterin. Sehr oft trug sie dann in einer Tragtasche das Baby auf den Peilstein. Es gab immer wieder liebe Menschen, die auf das Kind aufpassten, während sie ein, zwei Anstiege kletterte. »Der Kleine ist jetzt schon ganz glücklich, wenn er auf dem Peilstein ist!«, sagte sie.
    Wir jungen Peilsteintiger fanden zu dem Baby in der Tragtasche keine rechte Beziehung. Uns schien es nur, dass es nicht glücklich, sondern eher teilnahmslos in die Luft glotzte. Aber zu Renate sagte ich: »Der Bua wird ganz bestimmt einmal ein wilder Kletterer!«
    Er wurde keiner. Renate hatte einen Mann geheiratet, der kein Bergsteiger war.
    Durch reinen Zufall traf ich nach etwa zwei Jahrzehnten das Baby aus der Tragtasche wieder. Es war zu einem feschen jungen Mann geworden. Als ich ihn fragte, ob er viel in den Bergen unterwegs sei, schaute er mich ganz erstaunt an. Bergsteigen, Klettern – das wäre nichts für ihn. »Dazu muss man geboren sein. Damit muss man schon früh anfangen!«
    Gibt’s überhaupt den geborenen Kletterer?
    Vom Hirnklettern des Herrn Reif
    Eines Tages war er da, der Herr Reif. Ein kleiner drahtiger, schon etwas älterer Herr mit Brille und Glatze. Ein Mann, der, wenn er in eine Schutzhütte kam, bald von jungen Leuten umgeben war, die ihm zuhörten, wenn er seine lustigen Bergsteigergeschichten erzählte. Rudolf Reif war aber nicht nur ein blendender Erzähler, er war auch ein exzellenter Kletterer. Ein Kletterer von früher Jugend an.
    Schon als Vierzehnjähriger hatten sich er und sein Spezl ein Kletterseil und Kletterschuhe gekauft. Um ihren Mitschülern zu zeigen, wie sich »echte Kletterer« abseilen, luden sie diese zu einem nächtlichen Schauabseilen an der acht bis zehn Meter hohen Kaimauer am Wiener Donaukanal ein.
    Kaum waren die zwei unten angelangt, wurden sie auch schon von zwei Männern ergriffen, verprügelt und einem Polizisten übergeben. Pech! Am Fuß der Mauer standen Holzhäuser mit Büros der Fischerei-Verbände. Schon an zwei vorangegangenen Tagen war in diese eingebrochen und »Schreibmaschinen, 120 Kronen 52 Heller und ein falsches Gebiss gestohlen worden«. Die zwei Männer hatten als Wache aufs Wiederkommen der Einbrecher gewartet.
    Nach langem Verhör bei der Polizei wurden die zwei Burschen als Verdächtige in eine finstere Zelle gesteckt. Hauptbeweis: Die Kletterpatschen hatten sie angezogen, um beim Einbrechen nicht gehört zu werden. Am nächsten Morgen wurden sie von den Vätern abgeholt. Reifs Vater begrüßte seinen Sohn mit zwei Watschen und verbot ihm das Klettern.
    Daran hatte er sich nicht gehalten. Er ist weit in den Alpen herumgekommen, hat auch etliche Erstbegehungen gemacht (unter anderem 1920 mit seiner Frau Hedi die Haindlkarturm-Nordwand im Gesäuse sowie etliche neue Kletterwege im Schneeberg-Rax-Gebiet).
    1938 mussten er und seine Frau ihre Heimat verlassen. Rudolf Reif war Jude. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die beiden aus ihrem Exil in Schanghai wieder zurück nach Wien. Und der Herr Reif überraschte dann alle mit einem einmaligen Kletter-Comeback ...
    Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Bergsteigergruppe vom Österreichischen Gebirgsverein beschlossen, den alten Peilsteinführer aus dem Jahre 1928 neubearbeitet herauszubringen. Herausgeber Hubert Peterka (der Mann mit den 500 Erstbegehungen) hatte von diesem neuen Führer eine feste Vorstellung: Es sollte ein Führer für alle Zeiten werden.
    Konkret: Alle alten Anstiege werden begangen und neu beschrieben; alles, was am Peilstein noch an Erstbegehungen zu machen ist, wird von uns gemacht.
    1948 waren wir Jungen fast jeden Sonntag in den Peilsteinwänden unterwegs. Ein Felsblock am Fuß der Wände wurde für Peterka zum Büro. Dort hockte er vor einem Haufen Manuskriptblättern und setzte uns wie Blutegel zum Kontrollieren oder Erstbegehen an die Felsen.
    Ende 1948 war
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