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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma
Autoren: Janne Mommsen
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da?
    Oma setzt sich seitwärts auf die Fensterbank, dreht sich zur Straße hin und hängt die Beine heraus. Über ihrer Schulter baumelt ein kantiger, flacher Gegenstand in einer großen Leinentasche. Sie gönnt sich eine kleine Pause zum Luftholen, dann gleitet sie hinaus auf die Straße.
    Hat sie die Tür nicht gefunden, oder was?
    Mir bricht der Schweiß aus.
    Oma geht nach links aus dem Bild. Kurz darauf erscheint am Fenster ein stark geschminktes Mädchen in einem Ledermantel: Jade!
    Jade springt ebenfalls mit einem Satz hinaus.
    Der Film stammt laut Einblendung von heute um 13:05 Uhr.
    Ich habe mal von einer Seniorin gelesen, die eine Hanfplantage unterhielt, um ihre Rente aufzubessern, und hin und wieder schlägt auch mal ein Rentner um sich. Das ist kaum ein Indiz für wachsende Seniorenkriminalität, wenn so etwas passiert, ist es eine Ausnahme und steht gleich in der Zeitung.
    Im Ernst, nie im Leben hat meine 76-jährige Oma ein Bild geklaut, um es an internationale Kunsthehler zu verscherbeln.
    Wir sind doch eine ganz normale Familie! Niemand von den Riewerts hat je ein Verbrechen begangen, falsch parken und 30 Stundenkilometer zu viel war das Äußerste. Als ich fünfzehn war, habe ich sehr unter der Normalität meiner Familie gelitten. Da hätte mir eine klauende Oma sehr gefallen.
    Oma ist unschuldig.
    Aber wieso ist sie aus dem Fenster geklettert?
    Und Jade?
    Schwerer Diebstahl mit fünfzehn? Weil sie sicher sein kann, dass ihr Vater den fiesesten, teuersten Anwalt des Landes besorgt? Oder als
Hilferuf
, für was auch immer? Und Oma deckt sie?
    Ich schaue mir die DVD noch einmal von vorne an.
    Als könnte der Film diesmal anders ausgehen. Doch wieder klettert Oma aus dem Fenster, gefolgt von Jade. Ich schalte die DVD ab und lege den Laptop neben mich auf den Boden.
    Was ist bloß los mit Oma?
    Gut, in letzter Zeit wirkte sie manchmal müde und unkonzentriert, sie suchte öfter nach Begriffen, weil sie mit den Gedanken woanders war. Das habe ich für eine Phase gehalten, die vorübergeht, wie eine verschleppte Viruserkrankung. Außerdem kennt es doch jede und jeder, dass einem manchmal nicht gleich die richtige Vokabel einfällt.
    Dann gibt es noch die Gerüchte, dass sie letztens von ihrem Balkon am Sandwall Touristen gesegnet haben soll. Das war mit Sicherheit nur ein Gag von ihr, der jetzt von irgendwelchen kleinkarierten Nachbarn hochgespielt wird. Wenn Oma mit mir früher auf dem Festland unterwegs war, hat sie sich noch ganz andere Dinge geleistet. Zum Beispiel Landfrauen wortreich durch die Ausstellung des Hamburger Kunstvereins geführt, ohne auch nur einen einzigen Maler oder ein Bild zu kennen. Bis sie von einem Wachmann, der es besser wusste, rausgeschmissen wurde. Sie nimmt sich halt im Alter die Freiheit, Dinge zu tun, die sie sich vorher in ihrem Leben nie getraut hätte. Und das liebe ich ganz besonders an ihr.
    Auf Föhr hat sie sich allerdings stets ein bisschen zurückgehalten, um nicht ins Gerede zu geraten.
    Ich will lieber abwarten, als Gerüchten zu glauben. Auf der Insel wird viel erzählt, die Einsegnung der Touristen wird es nicht wirklich gegeben haben.
    Aber die Geschichte mit dem Museum! Hoffentlich muss die Polizei nicht gegen Oma ermitteln, das wäre übel. In dem Fall könnte sich Maria ihrer Versetzung kaum entziehen. Das Polizeirevier in Wyk ist einfach zu klein, man würde sich von Seiten der Polizei keinem Verdacht der Strafverschleierung aussetzen wollen und sie wie geplant aufs Festland schicken.
    Aber so weit sind wir noch nicht.
    Auch wenn ich mich nicht ganz wohl dabei fühle: ich werde Maria die DVD nicht zeigen, das habe ich Friederike versprochen. Und versprochen wird nicht gebrochen.

[zur Inhaltsübersicht]
5. Zwei Heilbutte durch drei
    Der Regen hört so schlagartig auf, als hätte jemand den Hahn abgestellt. Von den dicken, grünen Blättern der Rhododendren im Garten perlen schwere Tropfen zu Boden, einige hüfthohe Gräser sind umgeknickt. Es wird warm, man sieht und riecht, wie überall die Feuchtigkeit aus der Erde verdampft.
    Ich schiebe den alten Bauerntisch von der Küche in den Wintergarten, drum herum stelle ich zwei unserer Bauhaus-Imitat-Sessel aus Leder und Chromstahl. An den Rand der Tafel kommen unsere großen Kerzenleuchter, neben die Teller rote Trockenblumen. An sich bin ich nicht so sehr der Deko-Typ, aber in meiner Zeit als Eventmanager habe ich mir einiges von den Kellnern abgeguckt. Maria tut gerne burschikos, praktische
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