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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma
Autoren: Janne Mommsen
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Sommersturm, plaudert über den letzten Winter, als Föhr wochenlang verschneit war, und fragt Jade nach der Schule.
    Wie es eine ordentliche Oma so tut.
    Nach einigen Kilometern Schweigen rückt der mächtige, alte Kirchturm von St. Laurentii in Süderende näher. Das massive, trotzige Gotteshaus wurde im 13. Jahrhundert erbaut und ist umgeben von einem dichten Wald. Um das Kirchengebäude herum befindet sich einer der ältesten Friedhöfe der Insel. Wir stellen den Wagen vor der Friedhofsmauer ab. Der Wind pfeift wild durch die Bäume und schüttelt sie heftig durch.
    Wir gehen durch ein kleines Tor auf den Friedhof. Ich trage den Picknickkorb, Jade die Decke und Oma die Thermoskanne mit frischem Tee, den ich eben gekocht habe.
    «Das hier ist nicht
irgendein
Friedhof», sagt Oma. «
Diesen
solltest du besser kennen als alle anderen.»
    Jade blickt sie skeptisch an.
    «Fast alle, die hier liegen, haben etwas mit dir zu tun», erkläre ich.
    Jade ist wie elektrisiert, auch wenn sie sich bemüht, es nicht zu zeigen.
     
    In meiner Kindheit gab es keinen Verwandtenbesuch auf Föhr ohne einen Rundgang auf dem Friedhof von St. Laurentii. Auf den Grabsteinen kann man unsere Familiengeschichte über mehrere Jahrhunderte zurückverfolgen. Wir halten an der letzten Ruhestätte von Brar Riewerts, an dessen weißem Stein oben die Symbole Kreuz, Herz und Anker – für Glauben, Liebe, Hoffnung – prangen.
    «Der heißt wie ich!», freut sich Jade.
    «Kein Zufall, mien Deern. Wenn wir den ausbuddeln würden, wären Teile seiner DNA mit deiner und meiner identisch», erklärt ihr Oma.
    Jade schaut mich an.
    «Echt?»
    Man nennt die Grabsteine auf diesem Friedhof die «sprechenden Grabsteine», es war hier Brauch, auf ihnen die Lebensgeschichte der Verstorbenen einzumeißeln. Die Inschrift auf dem Stein, den ich Jade zeige, kenne ich von unseren unzähligen Besuchen auswendig:
    Brar Riewerts
    An dem Fuße dieses Denkmals liegt das Verwesliche der beiden Eheleute Brar Riewerts und seine Frau Antje Ketelsen. Ersterer ist am 22. Juli 1768 in Oldsum geboren, 1791 in den Ehestand mit der 1771 geborenen Antje Ketelsen aus Süderende getreten. Er war vom 15. bis zum 40. Lebensjahre ein mit dem Glück des Herrn gesegneter Seefahrer und führte 15 Jahre lang verschiedene Schiffe als Kapitän nach Grönland und Westindien. Den Eheleuten wurden 4 Kinder geboren, wovon 2 im Alter von sieben und eines im Alter von neun starben. Nach seiner Zeit als Kapitän führte der Verstorbene strebsam seinen Hof in Oldsum, bis ihn der Todesbote am 5. Dezember 1849 im gesegneten Alter von 81 Jahren in die Ewigkeit mitnahm. Seine Frau Antje lebte im Witwenstand noch zwei Monate und drei Tage, bis sie ihm am 9. Februar folgte.
    Auswärtige staunen immer, dass Föhr, schon lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab, ein «Global Village» war. Die Seeleute fuhren von hier aus mit Schiffen um den ganzen Globus und brachten Geschichten, fremde Speisen und Getränke mit. Der typisch friesische Tee zum Beispiel stammt ja auch nicht vom Anbau auf dem Deich.
    Jades Blick bleibt erschüttert an Brar und Antje Riewerts’ Grabstein haften. Sie schaut drein, als würde sie sich gut an die beiden erinnern. Es ist eines, in Frankfurt mit Freunden nach Betriebsschluss auf Friedhöfen herumzuhängen und düstere Musik zu hören, vielleicht Gedichte vorzulesen oder Briefe an die Toten zu verfassen. Etwas komplett anderes ist es, direkten Anschluss zu den Toten zu bekommen wie auf diesem Friedhof.
    «Ich kann ihre Energie spüren», flüstert Jade.
    «Das ist die Kraft der Riewerts!», sagt Oma und wendet sich an mich: «Was meinst du, Sönke, mein Lieber, sollen wir hier frühstücken oder drüben bei Matthias?»
    «Bei Matthias ist immer mehr Stimmung», finde ich.
    «Du hast recht, Sönke. Kommt, Kinder.»
    So ganz sicher bin ich mir nicht, ob es nicht ein Sakrileg ist, auf einem Friedhof zu picknicken. Andererseits sind wir unseren Vorfahren auf diese Art wirklich sehr nah.
    Also breiten wir die Picknickdecke vor dem Grab von Matthias Petersen aus, der aus Omas direkter Linie stammt. Oma hat Teller in Friesischblau dabei, selbst gekochte Marmelade, backfrische Brötchen und Krabben. Sie gießt den dampfenden Tee in große Pötte.
    Sie freut sich, es ist genau der richtige Ort, um ihre Enkelin zu beeindrucken, Jade kann ihren Blick nicht von dem Grabstein vor uns lassen:
    Matthias Petersen,
    geb. in Oldsum den 24. Dec. 1632
    gest. den 16. Sept. 1706.
    Er war
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