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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten
Autoren: Selim Özdogan
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Arsch.
    – Und was machen Sie hier, wenn ich fragen darf?
    – Ich versuche den See mit Wasser zu füllen.
    Ich wußte nicht, ob er mir mit den letzten beiden Antworten etwas sagen wollte oder einfach nur keine Lust hatte, mir Auskunft zu geben. Er schien nicht stolz zu sein auf diese kryptischen Aussagen, er vermittelte mir auch nicht das Gefühl, in ihnen stecke eine Weisheit, die nur sehen konnte, wer Augen hatte.
    Was er sagte, half mir nicht, ihn in einem anderen Licht zu sehen als früher. Er war ein gutaussehender Held, gealtert, vielleicht müde, aber immer noch ein Mann ohne Bindungen, ohne Vergangenheit und Zukunft, einer, der die Melodie des Lebens gehört hatte.
    – Du hattest einen Freund, sagte er, etwas jünger als du. Ihr wart oft zusammen.
    – Ja, mein Cousin Oktay, er ist vor Jahren verschwunden, er soll angeblich hier irgendwo sein, ich habe ihn die letzten Tage vergeblich gesucht.
    Borells Blick schweifte in die Ferne, er bekam diesen weichen, melancholischen Ausdruck, der mich schon als Kind fasziniert hatte.
    – Oktay also. Ich glaube kaum, daß du ihn finden wirst, sagte Borell und nahm noch einen großen Schluck aus seinem Glas. Hoffentlich langweilt sich deine Freundin nicht, fügte er hinzu, sie ist eine schöne Frau. Er lachte.
    – Warum glauben Sie das nicht, warum glauben Sie nicht, daß ich ihn finden werde?
    – Kamaloka ist ein chaotisches Land, war seine knappe Antwort.
    Während Oriana aß, plätscherte unser Gespräch dahin, Borell unterhielt mich mit amüsanten Anekdoten, mit Geschichten, die ihm in den verschiedensten Ländern widerfahren waren, seitdem er Istanbul verlassen hatte. Doch auch die halfen mir nicht, ihn besser zu verstehen oder ihm näherzukommen. Wenn er auch kein Schriftsteller war, er schien es zu mögen, mit seinen Erzählungen bei den Menschen zu sein. Er gab mir gar nicht mehr die Gelegenheit, ihm Fragen zu stellen, er erzählte einfach, er erzählte, und ich nahm mir vor, ihn zu fragen, ob er einen naqqâl gekannt hatte.
    Er bestellte sich noch ein zweites und drittes Glas Absinth, ich war schon nach dem ersten benommen und lehnte ebenso wie Oriana dankend ab.
    – Ich will euch nicht länger aufhalten, sagte er, als Oriana sich den Mund mit der Serviette abwischte. Er stand auf, reichte zuerst Oriana, dann mir die Hand. Ich erhob mich, und wir küßten uns auf die Wangen.
    – Paß gut auf dich auf, Mesut, sagte er, es war schön, dich kennengelernt zu haben.
    Ich stand noch immer da, als ich ihn längst nicht mehr sehen konnte. Dieser Gang, so anmutig, als würde er gleich anfangen zu tanzen, ich hatte ihn nicht nach dem Gang gefragt. Und nicht nach dem naqqâl. Am liebsten wäre ich ihm hinterhergelaufen, hätte ihn nach seiner Adresse gefragt, seinem Hotel, nach einer Verabredung am Abend. Doch ich setzte mich und hatte schon wieder das Gefühl, als könne ich in Tränen ausbrechen. Borell, ich hatte nicht gesehen, was sich hinter diesem Namen verbarg. Meine Augen wurden glasig. Es müßte immer Musik dasein, bei allem, was du machst, wie die Musik, zu der Borell sich bewegt. Es müßte immer Musik dasein, und wenn du da sitzt und einen ziehenden Schmerz verspürst, wenn du glaubst, in einem Augenblick alles verlieren zu können, wenn etwas in dir aufbrandet, das Verzweiflung sein könnte oder Panik oder einfach nur Trauer, dann wäre da immer noch die Musik.
    – Du hast nicht übertrieben, sagte Oriana, er sieht verdammt gut aus. Und diese Bewegungen, wie ein Panther. Und diese Augen. Aber er wirkte alt.
    Ich versuchte wiederzugeben, was Borell erzählt hatte, ich mußte reden, ich mußte versuchen zu erklären, was für ein Wunder das war, daß dieser Mann überhaupt existierte und daß ich ihn hier traf. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie wichtig er in meinem Leben gewesen war. Ohne ihn hätte ich nie mit Yoga angefangen, ich hätte mich nie mit den Klängen, den Formen und den Rhythmen der Worte beschäftigt, ich hätte nie soviel über Hurenhäuser phantasiert. In meinen kühnsten Vorstellungen waren das Orte ohne Türen gewesen, wo Männer mit aufgestellten Schwänzen durch die Korridore spazierten und ihn hier und da in die bereitliegenden Frauen reinsteckten.
    Ich hätte nicht gerappt, nicht so geträumt, nicht diese Sehnsucht entwickelt, die Melodie zu finden, die seinen Gang bestimmte. Vielleicht hätte ich nicht gedealt. Borell war immer etwas Fernes in meinem Leben gewesen, das ich nicht genau bestimmen konnte, auf das ich aber
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