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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten
Autoren: Selim Özdogan
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einem dämmrigen Zustand, in dem ich nicht mehr wußte, wo meine Hände sind. Ich konnte sie nicht fühlen, ein Teil von mir hatte meinen Körper bereits verlassen. Ich mußte die Hände erst bewegen, um zu merken, daß sie auf Orianas Hintern waren. Ihr Bein zuckte unwillkürlich, wie kurz vor dem Einschlafen, und dieses Zucken breitete sich wellenartig in meinem ganzen Körper aus. Ich brummte sanft, wünschte mir, daß sich die Vibration auf sie übertrug. Ich spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam.
    Etwas später stand sie auf, blickte sich um, als müsse sie sich orientieren, dann zog sie sich ihr langes T-Shirt an und ging raus, wahrscheinlich auf die Toilette. Das Dunkel im Zimmer wurde kurz vom Licht auf dem Flur vertrieben, als sie zurückkam. Sie schloß die Tür, setzte sich auf die Bettkante, streifte sich das T-Shirt über den Kopf. Es gab kein Wort, das den Anspruch gehabt hätte, das erste sein zu dürfen.
    Oriana summte ganz leise, doch ich erkannte die Melodie sofort, natürlich erkannte ich die Melodie. Noch hatte ich die Augen offen und betrachtete diese dunklen Umrisse von vollendeter Schönheit. Dann fing Oriana an zu singen, es war ein wenig Sand in ihrer Stimme, nicht viel, vielleicht zehn, fünfzehn vorwitzige Körnchen, die es nicht hatten erwarten können zurückzukehren.
    Suzanne takes you down to her place near the river, ich schloß die Augen und verlor mich in ihrer Stimme, and she lets the river answer, that you’ve always been her lover, Oriana klang für einen Augenblick, als würde sie anfangen zu weinen, all men will be sailors then, until the sea shall free them, ich spürte, wie mir die Tränen übers Gesicht liefen, and you want to travel with him and you want to travel blind, ich hörte, wie die Tropfen auf das Kissen fielen, and you think maybe you’ll trust him, for he’s touched your perfect body with his mind, ich war ganz weich, ich schien mich aufzulösen, you want to travel with her and you want to travel blind …
    Nachdem der letzte Ton verklungen war, wollte ich nie mehr ohne sie sein. Langsam, unsicher schlug ich die Augen auf, sie saß immer noch auf der Bettkante, hatte sich aber so gedreht, daß sie mich ansehen konnte.
    Auf ihrem Gesicht sind feuchte Spuren, ich nehme ihre Hand und ziehe Oriana ins Bett. Ich rieche ihren Schweiß, spüre ihr Fleisch, ihre Wärme, rieche Sperma, rieche ihren Atem, rieche die Tränen. Wir finden eine Position, in der wir viel Haut fühlen, lange liegen wir wach nebeneinander und atmen gemeinsam. Wir haben kein Wort mehr gesprochen, als wir schließlich einschlafen.

14
    Nachdem wir aus dem Bus ausgestiegen waren, ließen wir unsere Taschen fallen. Marina sah etwas erstaunt hoch zu uns und lief dann ein paar Schritte nach rechts. Wir nahmen unsere Taschen und folgten ihr lachend. Als wir die Straße überqueren mußten, nahm ich Marina an die Hand. Es war jetzt fast fünf Jahre her, daß Oriana und ich das letzte Mal hier gewesen waren.
    Wir kamen an einem Eisverkäufer vorbei, und Marina fragte:
    – Kann ich ein Eis?
    – Natürlich, sagte Oriana, und wir kauften drei Eis, bevor wir weitergingen. Kurz vor der Touristeninformation saß eine alte, braungebrannte Frau in weiten, bunten Kleidern auf einem Schemel in der Fußgängerzone. Sie hatte ein rotes Baumwollkopftuch, riesige goldene Ohrringe und einen dunklen Flaum auf der Oberlippe. Vor ihr stand ein großes Schild, auf dem die Innenfläche einer Hand zu sehen war, die Linien besonders dick eingezeichnet. Marina blieb stehen und musterte sie interessiert. Sie drehte sich mit ihrem Eis in der Hand zu uns und fragte:
    – Was macht die Frau da?
    – Das ist eine Wahrsagerin, sagte ich, sie kann den Menschen die Zukunft aus der Hand lesen, nicht aus den Karten.
    – Eine Wahrsagerin? So wie Mama?
    – Ja, mein Schatz, sagte Oriana, so wie Mama und Oma. Marina näherte sich ohne Scheu der Frau und sah sie aufmerksam an. Die Wahrsagerin lächelte, wenn auch nicht besonders freundlich. Nach einer halben Minute hatte Marina genug gesehen, und wir setzten unseren Weg fort. Die Touristeninformation hatte noch auf, wir bekamen problemlos ein Zimmer. Abends eröffnete uns Marina, sie wolle später auch Wahrsagerin werden. In drei Wochen würde mein erstes Buch erscheinen.
    So leben sie. Sie kennen die Worte und die Lieder, sie ahnen, daß der Teufel vor Vergnügen lacht, wenn sie Pläne schmieden, sie wissen, wie leicht das Glück ist, ein Windhauch kann es wegwehen. Sie sind dankbar
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