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Ein Sonntag auf dem Lande

Ein Sonntag auf dem Lande

Titel: Ein Sonntag auf dem Lande
Autoren: Pierre Bost
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achtete wie ein schönes Spielzeug, das zu berühren nicht erlaubt war.
    »Das wird dich erschöpfen«, sagte Edouard und machte eine Bewegung, um das Kind zurückzunehmen.
    »Nein, nein! Lass!«, entgegnete Monsieur Ladmiral.
    Gleichzeitig wurde er langsamer, weil das Gewicht des Kindes auf seine Schultern drückte. Aus Feingefühl verlangsamte auch Edouard seinen Schritt, ein wenig zu sehr sogar, sodass er leicht ins Hintertreffen geriet. Sein Vater drehte den Kopf nach ihm um:
    »Müde?«, fragte er mit munterer Stimme, ein wenig ironisch.
    Gonzague ärgerte sich. Der alte Vater würde wirklich niemals die Aufmerksamkeiten verstehen, die man ihm entgegenbrachte. Man konnte ihn dennoch nicht darauf hinweisen. Gonzague spürte eine leichte Bitterkeit aufkommen und dachte einmal mehr, dass die Tugend genau darin bestand, alle diese kleinen Taten im Geheimen zu vollbringen, ohne jede Belohnung.
    »Müde?«, sagte er. »Nein. Ich fühle mich prächtig. Aber du?«
    »Ich? Bestens!«, antwortete Monsieur Ladmiral. »Es ist eine Zeit her, dass ihr hier wart.«
    »Zwei Wochen«, präzisierte Gonzague.
    »Das sage ich ja. Oh, ich weiß gut, dass es nicht leicht ist …«
    »Letzten Sonntag …«, hob Gonzague an.
    »Schon gut, schon gut. Entschuldige dich nicht. Ich komme euch ja auch nicht oft besuchen.«
    Monsieur Ladmiral hatte seit einem halben Jahr keinen Fuß mehr nach Paris gesetzt.
    »Das stimmt«, sagte Gonzague, »du machst dich rar.«
    »Mit diesen Zügen«, sagte der Vater, »ist das so eine Geschichte. Da ich keinen Grund habe, an einem bestimmten Tag zu fahren, du weißt, was das heißt, komme ich nie zu einem Entschluss. Aber für euch, die ihr nur sonntags kommen könnt, ist das einfacher. Und ihr seid daran gewöhnt, und ihr seid zu mehreren. Wenn man eine Truppe ist und die Dinge regelmäßig macht, ist es nicht mehr als eine Frage der Organisation. Was sich im Großen abwickeln lässt, ist immer einfacher.«
    »Sicherlich«, sagte Gonzague, der sich umdrehte, um nach seinen Jungen Ausschau zu halten. Er sah sie nicht.
    »Sie werden den steilen Weg genommen haben«, sagte Monsieur Ladmiral.
    In der Tat hatten Emile und Lucien den steilen Weg genommen. Als Monsieur Ladmiral und sein Sohn zu Hause ankamen, fanden sie die beiden Jungs im Salon, versunken in tiefe Sessel. Emile sah sich eine Illustrierte an; Lucien machte nichts.
    »Seht zu, dass ihr in den Garten verschwindet!«, rief Gonzague.
    »Wir sind müde, wir haben den Kletterpfad genommen«, sagte Emile.
    »Ich kann nicht mehr laufen«, sagte Lucien und streckte sein Bein aus, um die Verletzung bewundern zu lassen, die ihm der Steinhaufen zugefügt hatte.
    »Du willst dich wohl über uns lustig machen«, sagte Gonzague. »Spül es mit ein wenig Wasser ab und spiel dich nicht auf. Frag Mercédès.«
    Dann aber wandte er sich seinem Vater zu, wie von Gewissensbissen gepackt, und stellte sich Wunden vor, die sich heftig entzündeten, Vereiterungen und Wundstarrkrämpfe.
    »Hast du etwas Jodtinktur?«
    Man ging hinüber in Monsieur Ladmirals Zimmer für die Verbandszeremonie, was sich als komplizierter Akt erwies. Gonzague mochte keine wehleidigen Kinder, und er ließ sie, vermutlich wohl um den Seinen Beherztheit beizubringen, in aller Liebe möglichst lange leiden, wenn er sie behandelte. Gonzague säuberte die offene Schürfwunde energisch mit Watte, die er mit Jod getränkt hatte. Lucien schrie wie ein Todgeweihter. Gonzague schalt ihn eine Memme und rieb weiter. Dann umwickelte er das Knie mit einem Leinenstreifen, der das Gehen fast unmöglich machte.
    »Jetzt geh in den Garten spielen«, sagte er.
    »Und Emile?«, fragte das Kind, das nichts dagegen hatte, bestraft zu werden, aber nicht allein.
    »Emile wird das tun, was man ihm sagt. Mach du inzwischen, was man dir sagt.«
    Lucien schaffte es mit seinem steifen Bein in den Garten und betonte sein Hinken mit solchem Eifer, dass Monsieur Ladmiral und sein Sohn ihm aus vollem Herzen lachend dabei zusahen. Eine echte Komplizenschaft vereinte sie in diesem Augenblick. Sie fühlten sich wie gute Freunde, wie zwei gleichaltrige Kameraden.
    »Seid ihr zufrieden mit den Kindern?«, fragte Monsieur Ladmiral.
    »Ziemlich«, antwortete Gonzague. »Der Ältere arbeitet gut (Gonzague vermied es, um seinem Vater nicht zu missfallen, Emile oder Lucien zu sagen). Der Jüngere hingegen hält sich zurück, schlägt sich aber trotzdem gut.«
    »Das sehe ich«, sagte der Vater, »wie du in den unteren
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