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Ein Sonntag auf dem Lande

Ein Sonntag auf dem Lande

Titel: Ein Sonntag auf dem Lande
Autoren: Pierre Bost
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zu sagen, er sei rücksichtslos …«
    »Auf jeden Fall«, unterbrach Monsieur Ladmiral, den diese Geschichte langweilte, »macht euch keine Gedanken wegen dieses Klumpens Erde.«
    Edouard hatte den Zwischenfall bereits vergessen und musste rasch wieder eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen – Erdklumpen und Käseglocke – herstellen. Dabei wurde ihm klar, dass er, um die Diskussion mit seiner Frau fortzusetzen, gezwungen war, seinem Vater zu widersprechen. Ein Moment der Ratlosigkeit überkam ihn … das Familienleben war wirklich eine komplizierte Angelegenheit. Ängstlich griff er sich in den Bart, als ließe sich aus diesem eine Erleuchtung gewinnen. Eine Sekunde lang stellte er sich ein Leben ohne Frau, ohne Kinder, ohne Vater vor … endlich frei. Und sogleich wurde er von einer großen Furcht gepackt und klammerte sich fester an seinen Bart, wie an einen Ast. Er betrachtete den Bart seines Vaters und den ganzen Vater mit Zuneigung, dieses gute Gesicht, das er seit jeher kannte, diese schwarze Samtjacke, den beruhigenden Orden der Ehrenlegion. Alles war in Ordnung. Edouard, nun wieder zu Gonzague geworden, trocknete sich die Stirn.
    »Du hast völlig recht«, sagte er zu seinem Vater.
    Monsieur Ladmiral verstand nicht mehr ganz genau, worin er recht hatte. Für einen Moment fühlte er sich geschmeichelt. Aber bald dachte er, dass sein Sohn ihm recht gab, um ihm eine Freude zu machen und Frieden zu haben. Wie alle alten Menschen hasste es Monsieur Ladmiral, wenn man ihn wie einen alten Menschen behandelte.
    »Du hast recht«, wiederholte Edouard.
    »Selbstverständlich«, erwiderte Monsieur Ladmiral in einem sehr ironischen Ton.
    »Aber ja, selbstverständlich«, sagte Edouard, der zu scherzen versuchte. Und er dachte: Es ist schrecklich; man weiß wirklich nie, wie man ihm eine Freude machen kann.
    Daraufhin entspann sich zwischen Monsieur Ladmiral, seinem Sohn und seiner Schwiegertochter langsam eine Art Gespräch. Der alte Vater war zerstreut; er betrachtete die Ecke seines Ateliers, die er vor drei Tagen zu malen begonnen hatte, und suchte im Rot eines Kissens und in der Falte einer Wandbespannung nach Geheimnissen. Er machte sich mit solch gierigem Verlangen daran, sie zu entdecken, dass er sich immer noch jung fühlte, und gleichzeitig war da die Gewissheit, nichts zu finden, so grenzenlos und bitter, dass er sich sehr alt fühlte – mehr als alt: tot, mehr als tot: am Ende.
    Er spürte ein Jucken in seinen Fingern, er hätte am liebsten nach seiner Palette gegriffen und diese Besucher, die schuld waren, dass er die Zeit vertrödelte, zum Teufel geschickt. Und sofort dachte er: Nein! Lasst mich nicht allein … da ich nichts finden werde. Was kann ich Besseres mit meiner Zeit anfangen, als sie zu vertrödeln?
    Kurz darauf ging man in den Garten. Die beiden Jungen lagen bäuchlings auf dem Rasen und taten so, als würden sie einen Käfer anzünden, indem sie die Sonnenstrahlen durch ein Stück Glas einfingen. Lucien hatte sich in den Daumen geschnitten, versteckte die Wunde aber sorgfältig, aus Angst vor der Jodtinktur. Man machte den Kindern klar, dass ihre Grausamkeit unbeschreiblich sei, ihre Bemühungen aber nirgendwo hinführen würden, weil es dazu einer Lupe bedürfe.
    »Das weiß ich wohl«, sagte Emile, »aber wir haben keine.«
    »Großpapa muss uns nur seine leihen«, sagte Lucien. »Ich weiß, wo sie ist.«
    Monsieur Ladmiral hütete seine Lupe wie seinen Augapfel, wie überhaupt alle Gegenstände, die er besaß. Er stellte sich taub.
    »Großpapa«, bohrte Lucien weiter, »leihst du uns deine Lupe aus? Ich weiß, wo sie ist.«
    »Hör doch auf mit deiner Fragerei!«, sagte Edouard und zog seinen Vater bereits fort. Der arme Alte, dachte er, wird sich gezwungen fühlen, ihnen seine Lupe zu leihen, und ich weiß, dass ihn das ärgern wird.
    »Aber ja doch, ja, ja«, sagte Monsieur Ladmiral zu Lucien. »Du kannst sie nehmen. Und zündet allenfalls Grashalme an, wenn ihr wollt, oder Papierstückchen, aber keine Tiere.« Sie werden meine Lupe zerbrechen, dachte er, aber ich kann ihnen nicht alles verbieten. Mein Gott, wie sind diese Kinder schlecht erzogen!
    Marie-Thérèse erklärte er: »Gonzague hat immer Angst, dass sie alles kaputtmachen.«
    »Was ich dazu gesagt habe«, sagte Edouard, »war nur in deinem Interesse.«
    »Das weiß ich wohl!«, sagte Monsieur Ladmiral und gab Gonzague einen Stoß in die Rippen. »Du bist der beste aller Söhne.«
    »Und du«, antwortete
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